"Der Titel „Zwischen den Welten – Between the Worlds“ lässt sich zum
einen metaphorisch auf die zeitliche Übergangsphase von der Kindheit und
Jugend zum Erwachsenenalter beziehen, eine Inkubationszeit, die sich
heutzutage immer mehr auszuweiten scheint, Stichwort: „Infantilisierung
der Gesellschaft“. Zum Anderen lässt der Titel auch an die konkret
„zwischen den Welten“ irrenden Flüchtlingstrecks denken, zu denen viele
Kinder und Jugendliche gehören. Für sie bedeutet der Aufbruch ins
Ungewisse oft einen jähen Abbruch der Kindheit oder sogar des Lebens."
Noch bis 18.09 ist die Ausstellung "Between the Worlds" in Roskow (Sa. - So. 12 - 18Uhr). In der Ausstellung gibt es, neben einigen Bildern und Skulpturen, zwei Videoinstalationen die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzen. Ein Schwerpunkt der Ausstellung wird auf die Situation in Syrien gelegt. Eine Videoinstalation zeigt Bombenwerfer, Kinder die in einem verfallenen Haus spielen, während Schüsse zu hören sind und vergleicht die Berichterstattung kriegerischen Konflikte mit einer Zirkusmanage in der nur ein verzerrter Ausschnitt der Wirklichkeit gezeigt werden soll. Abschließend wird ein Ausschnitt des Weltraumfluges von 1987 gezeigt in dem Muhammed Faris ein kurzes Gespräch mit dem Präsidenten führt. Sie reden über die Schönheit Syriens, der Bericht wird abrupt überblendet mit aktuellen Kriegsbildern, während die Tonspur weiter läuft. Die zweite Videoinstalation befasst sich mit Israel und zeigt eine Diskussion in der das aktuelle Flüchtlingsgeschehen thematiert wird.
Ein weiteres Thema das aufgegriffen wird ist die Kindheit chinesischer Wanderarbeiter: Schätzungsweise 60 Millionen chinesische Kinder von Wanderarbeiter/innen
wachsen fernab ihrer Eltern auf, weil das seit den 1950er-Jahren
bestehende „Hukou System“ sie an ihre Heimatprovinzen bindet. Nur dort
können sie die Schule besuchen. Auch Jia wuchs bei den Großeltern auf.
Als wundersamen Ort „zwischen den Welten“ der Schule und des Zuhauses
empfand sie Mini-Shops, in denen Kinder für kleines Geld Süßigkeiten
bekommen und das Gefühl des „Zurückgelassenseins“ für kostbare Momente
weggewischt erscheint. Im Schloss Roskow eröffnet die mittlerweile in
Berlin beheimatete Chinesin einen dieser magischen Mikroshops.
Die Ausstellung gibt interessante, kritische Einblicke und kostet für Studierende 5€.
Kindheitswissenschaften aktuell
18.08.2016 Tagung zur Kinderarmut !
Sonntag, 17. Juli 2016
Sonntag, 10. Juli 2016
Die 100 Sprachen des Kindes?
Im Mai konnten die Studiengänge „Angewandte
Kindheitswissenschaften“, „Kindheitspädagogik“ und „Leitung von
Kindertageseinrichtungen – Kindheitspädagogik“ einen tieferen Einblick in die
Reggio Pädagogik erhalten, durch eine
Weiterbildungsmöglichkeit in Reggio Emilia. Im Folgenden soll ein kurzer
Überblick zur Reggio Pädagogik und den aus der Fortbildung resultierenden
Erkenntnissen gegeben werden.
In der Reggio Pädagogik wird das Kind als Forscher
gesehen. Ziel der Pädagogen ist es ihm auf vielfältige Weise bei der Entdeckung
seiner Lebenswelt zur Seite zu stehen. Einen Schwerpunkt der pädagogischen
Arbeit stellt die Dokumentation da. Zur Dokumentation werden Interaktionen der
Kinder notiert oder mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet und später gemeinsam
interpretiert (für die Vorbereitung und Nachbearbeitung stehen zusätzliche
Zeiträume zur Verfügung). Als eine Dokumentationsmöglichkeit kann das Mitzeichnen von sozialen Interaktionen und eine parallele Dokumentation von
Gesprächsinhalten gesehen werden. Die
Interpretation und Dokumentation richtet sich nach keiner speziellen Methode.
Kinder werden bei der Interpretation der Daten nicht einbezogen, sie findet
unter den Erziehern statt.
Das Atelier nimmt in der Reggio Pädagogik eine
zentrale Rolle als Forschungsort ein. Es ist kein wissenschaftliches Museum -
Lösungen sollen dort selbst durch experimentelles Vorgehen entdeckt werden. Um
besser zu veranschaulichen, was ein Atelier ist, sollen nachfolgend einige
Beispiele für mögliche Ateliers angeführt werden:
· Küche: Als
Ausprobierort zum Entdecken von Gewürzen, Gerüchen, Geschmackssinnen, experimentelles
Kochen; in jeder Kita gibt es zwei Köche und eine zur Verfügung stehende Küche
in der auch mit den Kindern gekocht werden kann
·
Kunst:
experimentieren mit Farben, Recycling Materialien…
· Naturwissenschaften:
Lichtinstallationen -> Forschen zu Licht und Schatten, Spiegelungen,
Vergrößerungseffekte, Schwarzlicht…
- Garten: Als Möglichkeit zur Entdeckung von Insekten und Pflanzen, Licht und Schatten
- In der Reggio Ausstellung gab es dazu ein Beispiel für Naturforschungen, zu dem Thema Gräser, in denen die Kinder folgenden Fragen nachgingen: Are grasses male or female? How can you tell? What does a little grass have to learn? And who teaches it? And who puts the little seeds in the earth? How is grass born? How does grass move?
o Naturraum:
Wasserkrug mit Kaulquappen, Teichpflanzen, Blumen…
Zum Zusammenhang von Pädagogen und Ateliers wurde im
Centro Emilia folgender zentraler Satz geäußert: „Ich lehre dir keine Kompetenzen –Ich gebe dir verschiedene Räume zur
Verfügung, wo du deine eigenen Antworten entwickeln kannst.“ In den von Erwachsenen vorbereiteten Räumen
sollen Kinder ihre verschiedenen Sprachen ausleben können und die Welt
entdecken als Forscher. Die Erzieher
begleiten und dokumentieren diesen Prozess. Hierbei sollte hinterfragt
werden, wie man Kinder bei der Vorbereitung von Ateliers einbinden kann und ob
deren Wünschen für mögliche Forschungsräume Berücksichtigung erhalten.
Im Folgenden soll nochmal kurz auf die Bedingungen zu
künstlerischen Ateliers eingegangen werden. In den Ateliers arbeiten
„Atelierista“ die ein Kunststudium absolviert haben. Die Zeichnungen und
Bastelarbeiten der Kinder werden stets aufbewahrt, kreative Erzeugnisse werden
als wichtig betrachtet. Diese besondere Wertschätzung, kann jedoch auch mit
Chaos verbunden sein, wenn es nur wenig Aufbewahrungsmöglichkeiten gibt. Des
Weiteren sollte hinterfragt werden, wer entscheidet was wichtig ist und ob bei
dieser Entscheidung Kinder einbezogen werden.
Während der Fortbildung erhielten wir auch einen
Einblick in eine Reggio Kita und konnten dort Pädagogen und eine Mutter zur
Umsetzung der Reggio Pädagogik in der Praxis befragen. Zu den Räumlichkeiten
der Kita konnten wir Folgendes feststellen:
·
Warme
Farben,
·
Große und
tiefe Fenster,
·
Einrichtung
ist überwiegend aus Holz
·
Keine
feststellbaren Rückzugsorte im Haus, aber im Außenbereich (Garten)
·
Ateliers mit
Lichtspielen und Kunst
·
Briefkästen
für Kinder (Austausch von Überraschungen/Geschenke/Nachrichten)
·
Wenig
Spielzeug.
Abschließen kann festgestellt werden, dass in der
Reggio Pädagogik ein wichtiger Schwerpunkt bei der Raumgestaltung liegt, was
auch in der besuchten Kita ersichtlich wurde. Des Weiteren konnte in Erfahrung
gebracht werden, dass es in der Reggio Pädagogik altershomogene Gruppen gibt.
Kinder jüngeren Alters können somit nicht von den Erfahrungen älterer Kinder
profitieren.
Zur Sicht der Kinder konnten wir leider währen der
Fortbildung keine Informationen einholen. Unklar bleibt auch die genaue Rolle
der Erzieher. Es ist bisher nur ersichtlich, dass dieser soziale Interaktionen
zwischen den Kindern unterstützen soll und als Begleiter zu sehen ist, der die
Entwicklung des Kindes dokumentiert. Weitere Frage die wir uns dabei stellten
waren: Wie ist das Verhältnis zwischen „Atelerista“ und ErzieherIn? Führen die
kunstbasierte Ausbildung des „Atelerista“ und die pädagogische Ausbildung des
Erziehers zu Spannungen?
Als letzter Punkt soll der Besuch der Universität
Modena angeführt werden. Dort lernten wir das Forschungsprojekt „SharedMemories and Dialogue“[1] kennen. In
dem es um das Teilen von Erinnerungen durch Kinder geht. Innerhalb des
Projektes sollen Kinder wichtige Erinnerungsfotos vorstellen und dabei gefilmt
werden. Die Agency der Kinder soll mithilfe der Fotos gestärkt werden, dazu
soll die traditionelle Konversation, in der Lehrer Gespräche initiieren und
Schüler antworten, verändert werden. Ziel ist die Anregung des Wechsels
pädagogischer Muster. In der Abschlussdiskussion wurde auch die Reggio
Pädagogik thematisiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass es bisher keine
Forschungen zur Reggio Pädagogik gibt und diese
in einigen Punkten „als renovierungsbedürftig“ gilt. In diesem
Zusammenhang soll noch erwähnt werden, dass auch kein Interesse für eine
mögliche Forschungskooperation erkennbar war.
Donnerstag, 17. März 2016
Freie Schule Altmark
Meine Suche nach kindgerechten
Grundschulen führte mich zur „Freien Schule Altmark“ (FSA) in der Nähe von Salzwedel,
über die ich nun im Folgenden kurz berichten möchte. Die „Freie Schule Altmark“
ist eine staatlich anerkannte Grundschule, die für Freiheit, Geborgenheit und
Individualität steht. Sie befindet sich in einer dörflichen Region und ist in
einem umgebauten Bauernhof zu finden. Die Schule entstand 1994 durch eine
Elterninitiative und beruht auf einem reformpädagogischen Konzept, welches
einen Schwerpunkt auf Montessoripädagogik legt.
Am 8.03 hatte ich die Möglichkeit
zu hospitieren und erhielt einen interessanten Einblick in die Schule. Ein
gewöhnlicher Schultag beginnt in der FSA um 8:00 Uhr und endet um 13:00 Uhr.
Die Klassen sind ab dem zweiten Schuljahr altersheterogen und bestehen aus bis
zu 13 Schülern. Es gibt drei Klassengruppen, die erste erst Klasse (Löwenzähne)
ist separiert und die zwei weiteren Gruppen (Wildblumen, Tausendblatt) setzen
sich aus Schülern der zweiten bis vierten Klasse zusammen. Jede Klasse wird von
einer ausgebildeten Montessoripädagogin geleitet. Ein Großteil der Schulzeit
besteht aus für die Kinder aus frei wählbaren Angeboten, aber es gibt auch
Pflichtfächer, wie beispielsweise Mathe, Deutsch und Englisch, die einmal die
Woche besucht werden müssen. Desweiteren besteht eine verbindliche Teilnahme an
der Morgen- und Abschlussrunde. Vor den Klassenzimmern befindet sich eine
Übersicht aller Angebote, bei Interesse können die Kinder ihre Namensklammer an
Angebote befestigen. Die Angebote wechseln auch und richten sich nach den
Interessen der Schüler. Momentan gibt es beispielsweise einen Themenschwerpunkt
zu „Flucht und Willkommenskultur“, auf welchen ich später noch genauer eingehen
werde. Im Sommer gibt es für die Kinder die Möglichkeit den Schulgarten
mitzugestalten, im Winter finden viele Kreativkurse statt (Handarbeit), des Weiteren
gibt es auch ein Sportangebot. Während meiner Hospitation konnte ich in den Fächern:
Englisch, Mathe und an einem spontanen Angebot teilnehmen.
Die Englischstunde, startete mit
einem Smalltalk in dem alle Schüler befragt wurden, wie sie sich fühlen würden
und kurz etwas über sich erzählten. Danach begann das Thema „Essen im Restaurant
bestellen“. Dazu wurden Menükarten ausgeteilt und Jeder, sollte sein Wunschmenü
bestellen. Kurz danach wurden die bestellten Menüs durch Bildkarten verteilt.
Im Anschluss erfolgte Selbstarbeit, dazu teilten sich die Schüler selbst in
Gruppen auf und gingen in verschiedene Räume. Die Lerngruppen bestanden aus bis
zu vier Schülern. In der Lerngruppe, die ich beobachtete, gab es einen regen
Austausch zu den Aufgaben, aber auch Gespräche mit unterrichtsfremden Themen,
wie beispielsweise einer geplanten Friedensdemonstration in Salzwedel, bei der
einige Schüler teilnehmen wollten. Jeder arbeitete in der Gruppe in seinem
Tempo, einige waren schon etwas weiter (trotzdem entstand untereinander kein
Leistungsdruck), wenn es Schwierigkeiten gab, wurde von anderen Schülern, die
bereits weiter waren eine Hilfestellung gegeben.
Nach der Englischstunde, erfolgte
der Matheunterricht. In diesem wurden zunächst verschiedene Knobelaufgaben mit
Montessorimaterialien von der Lehrerin vorgestellt. Die Aufgaben hatten unterschiedliche
Schwierigkeitsstufen und dienten teilweise als Training für eine „Känguru
Matheolympiade“, die bald stattfinden sollte. Nachdem sich jedes Kind
selbstständig und einige durch Beratung mit der Lehrerin eine Knobelaufgabe
ausgesucht hatten, wurden diese einzeln oder auch in Gruppen gelöst.
In der letzten Stunde hatte sich
für ein freies Angebot der Vater eines Kindes angekündigt, welcher aktiv in
einer Flüchtlingsinitiative tätig ist. Er unterstützt beispielsweise in
Griechenland Flüchtlinge durch ein von ihm kostenfrei bereitgestelltes Kochzelt,
in dem er Mahlzeiten zubereitete. Leider
war er an diesem Tag durch einen dringenden Termin verhindert, deshalb
entschlossen sich die Schüler dazu ihre Willkommensschilder weiter zu basteln
und sangen zum Schluss der Stunde gemeinsam mit der Lehrerin ein Friedenslied,
welches sie für eine Demonstration bei einer Flüchtlingsunterkunft in Salzwedel
einübten.
Während der Pause erzählte die
Lehrerin, dass sie sich mit dem Thema Flucht auch schon durch das Buch
„Bestimmt wird alles gut“ von Kerstin Boie beschäftigt hatten. Sie hatte es
innerhalb eines Angebotes vorgelesen. Das Buch ist in Arabisch und Deutsch
geschrieben und enthält auf der letzten Seite ein paar wichtige arabische
Basiswörter. Ein weiteres Buch mit sehr eindrucksvollen Illustrationen ist
„Akim rennt“. Die skizzenhaften Bilder des Buches geben die Flucht und
Schrecken des Krieges eindrucksvoll wieder.
Zum Schluss möchte ich auf
Besonderheiten eingehen, die mir innerhalb meiner Hospitation aufgefallen sind.
In der Schule gibt es ein Verbot für Mobiltelefone[1],
dies gilt auch während der Pausen. In den Pausen ist es den Kindern außerdem
freigestellt zu entscheiden, ob sie diese im Außenbereich oder im Klassenraum
verbringen möchten. Einige Lernangebote finden auf dem Boden statt. Die
Englischstunde wurde beispielsweise teilweise in einem unbestuhlten Raum
durchgeführt und auch während des Matheunterrichtes hatten die Kinder die
Möglichkeit auf dem Teppich zu sitzen. Durch die andere Sitzordnung gibt es
mehr Bewegungsfreiheit und die Schüler können sich besser konzentrieren. Bei
der Raumgestaltung fiel mir auf, dass alle Räume in einem warmen hellen gelb
gestrichen sind. Die Schule hat keine Bibliothek, steht aber in einem
regelmäßigen Austausch mit einem mobilen Bücherwagen, der von den Kindern oft
besucht wird.
Abschließen möchte ich mit einem
Zitat, welches wie ich finde, gut einen wichtigen Punkt des Freiheitsaspektes
der Freien Schule Altmark wiedergibt: „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht,
das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“
(Maria Montessori)
(Maria Montessori)
Mittwoch, 9. März 2016
Protokoll der Tagung, 18.02
Tagung:
Ökonomisierung sozialer Arbeitsfelder – Schaffen wir das? Ja, aber zu welchen
Bedingungen und zu welchem Preis?
Protokollantin: Carolin Heimann
Protokoll der Tagung vom 18.02.2016
Referierender: Dipl. Pädagoge Matthias Heintz
Thema: Methoden ökonomisierter Jugendhilfe
und deren Folgen für die Praxis
Matthias
Heintz wies zu Beginn darauf hin, dass er selbst bis 2013, also seit 20 Jahren
in der KJH (Kinder- und Jugendhilfe), tätig gewesen sei. Er führte aus, dass es
für ca. 10 Jahre gute Möglichkeiten in seinem Tätigkeitsbereich gab. Ab 2003
entstand jedoch ein Wandel der KJH der große Probleme mit sich brachte. Es kam
in seinem sozialpädagogischen Tätigkeitsbereich zu sehr vielen Disputen mit dem
öffentlichen Träger, was 2013 schließlich zur Schließung der
Erziehungsberatungsstelle durch den Öffentlichen Träger führte. Danach
skizzierte er den Wandel der KJH, deren sozialpädagogisches Verständnis immer
weiter in den Hintergrund rückt, während die Ökonomisierung immer zentraler
wird. Die Methoden einer ökonomischen KJH, die unter einer „neuen Steuerung“
stehen, haben weitläufige Auswirkungen in der Praxis. 1989/90 kam es durch die
Einführung eines neuen Jugendhilfegesetzes zu einem Paradigmenwechsel in
Richtung Partizipation und Prävention. Doch mit der Agenda 2010 zu Beginn des
21. Jahrhunderts wurde die Ökonomisierung des Sozialen fortgeführt, deren
Ideengeber unter anderem die Bertelsmann Stiftung war. Die Agenda 2010 ist eine
Fortführung wirtschaftsliberaler Politik und damit auch eine Verbetriebswirtschaftlichung
sozialer Arbeitsfelder. Die neue Agenda brachte Wirtschaftsvokabular wie „manageralistische
Steuerung“, „New Public Management“ oder „Case Management“ in die Jugendhilfe.
Es erfolgte die Schaffung eines marktförmigen Umfeldes, welches diese
wirtschaftlichen Ausdrücke verdeutlichen.
Im Mittelpunkt der „manageralistischen
Steuerung“ und Bewertung stehen technische, leicht messbare Aspekte der
Dienstleistungserbringung, soziale Regelungstechniken zur Standardisierung
sozialarbeiterischen Handelns. Diese führen zu einem enormen
Dokumentationsaufwand der Arbeit. Die bürokratischen Anforderungen wachsen,
während die Arbeit am Menschen selbst immer weiter in den Hintergrund rückt. Der
Sozialwissenschaftler Eckhart Hansen untersuchte die Ökonomisierung der Kinder-
und Jugendhilfe (vgl. http://www.buendnis-jugendhilfe.de/bilder/pdf/neu).
Heintz führte desweiteren aus, dass in
den 90er Jahren die britische KJH durch die neue Steuerung handlungsunfähig
gemacht wurde. Ende 1999 gab es Änderungen im KJHG/ SGB VIII, unter anderem die
Einführung der Privatisierung im Bereich der KJH. Die Rechnung wirtschaftsliberaler
Gestaltungslogik geht nach wie vor leider immer wieder auf. Menschen sollen
über Steuerungsverfahren besser diszipliniert und gesteuert werden. Durch die
veränderten Arbeitsbedingungen die sich durch immer höheren Zeit- und
Effizienzdruck äußern, kommt es zu einem erheblichen Anstieg von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.
Im Folgenden soll auf die Methoden und
die Ökonomisierung in der Jugendhilfe auf Trägerebene eingegangen werden. Öffentliche
Träger vereinbaren immer mehr Leistungsvereinbarungen, die nicht zu der Steigerung
der Bedarfe im qualitativen Bereich passen. Diese werden immer anspruchsvoller
und schwieriger. Um möglichst Kosteneffektiv zu bleiben erfolgen häufig Neuausschreibungen
von Leistungen, diese sind jedoch rechtswidrig, aber trotzdem gelduldet. Der Verlust
eines Hilfesegmentes durch Ausschreibungen kann zu einer Existenzgefährdung
führen. Die ständige Kostendrückung durch öffentliche Träger, beeinträchtigt
desweiteren die Netzwerkarbeit.
Die Hilfeleistungen an Klienten werden
verzögert durch die Weiterverweisung in präventive Hilfen. „Präventive Hilfen“ sind unter anderem
die Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit, diese sollten allerdings nur
präventiv als Ergänzung dienen und keine Hauptmaßname sein, wie es oft der Fall
ist. Oft wird auch das „Treppenmodell
Verfahren“ genutzt in dem Klienten zuerst die kostengünstigen Hilfen
bekommen. Klienten werden also nicht nach Problemlage behandelt sondern bekommen
Hilfeleistungen unter ökonomischen Aspekten. Die Behandlungswege sind meistens
sehr lang, oft erfolgt eine Weiterreichung ins Gesundheitswesen an Psychologen,
um Kosten zu sparen. Eine weitere Methode ist das „Gießkannenprinzip“. Dies richtet sich nach einem festgelegten Etat,
mit dem gehaushaltet werden muss, egal zu welchen Folgen, das führt in der
Praxis beispielsweise bei der SPFH (Sozialpädagogischen Familienhilfe) zu einer
drastisch verknappten Wochenstundenzahl. Daraus lässt sich ableiten, dass die fachlich
vorgeschriebenen Erfordernisse einer Hilfe oft nicht gerecht werden.
Ein weiteres Problem ist die „Verehrenamtlichung“, welche durch PR
Maßnahmen gefördert wird. Eigentlich sollten ehrenamtliche Hilfen nur ergänzend
sein, doch immer häufiger kommt es vor das die professionelle Hilfe, z.B die
SPFH ersetzt wird durch Ehrenamtlichkeit.
Im Anschluss ging Matthias Heintz auf Freie Träger ein und wie diese mit
ökonomischen Strategien umgehen. Er führte aus, dass wer öffentlichen Trägern das
günstigste Angebot liefert, seine Chancen auf dem Sozialen Markt verbessert. Er
ergänzt, dass es immer mehr zu einer Schaffung prekärer Arbeitsplätze durch
beispielsweise Honorarverträge kommt. Ab der dritten Vertragsverlängerung
sollte dieser arbeitsrechtlich entfristet sein, was aber vom Arbeitgeber gerne
umgangen wird. Die Finanzierung erfolgt gerne auch über Fachleistungsstunden.
Weiterhin problematisch ist auch die heimliche Ehrenamtlichkeit (liegengebliebene
Arbeit wird zuhause unentgeltlich erledigt).
Eine weitere Schwierigkeit ist die oft
angewandte „Top-down
Kommunikationsstruktur“. Bei dieser werden Weisungen von oben nach unten
erteilt, also an die Fachkräfte der Basis. Während Bottom up (Beschlüsse von unten nach oben) meist gar nicht möglich
ist.
Um das System der Umdeutung der
sozialpädagogischen Sprache als Steuerungsprinzip der neuen Steuerung und die damit verbundenen neuen
Kommunikationsstrukturen besser verstehen zu können, ist es sehr empfehlenswert
das Buch „1984“ von Georg Orwell zu
lesen, da dies ein Grundlagenverständnis für totalitäre gesellschaftliche
Strukturen ermöglicht (dabei werden sprachliche Umdeutungen vorgenommen: z.B.
„Unterwerfung“ ist „Freiheit“, „Krieg“ ist „Frieden“ usw.).
Die Menschen werden im neuen System
immer mehr zu „Kunden“ der Sozialwirtschaft „Controlling“,
„Passgenauigkeit“ der Hilfen werden
dabei zu Zwangsjacken bei einer kritischen Auseinandersetzung. Die Auswirkungen
auf die KJH auf Fachkraftsebene sind chronische Zeitknappheit und dadurch
bedingter Dauerstress. Die Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust und der materiellen
Not sind ständige Begleiter. Zusätzlich tritt die Schwierigkeit der Bewältigung
immer größerer Fallzahlen auf, wodurch immer größerer Druck entsteht, der auch
an die Klienten weitergegeben wird. Ein großes Problem ist auch der deutliche
Anstieg fachfremder Tätigkeiten, insbesondere der Verwaltungsarbeit
(Dokumentation der Arbeit).
Die Folgen für Adressantinnen, auf
Klientenebene sind verkürzte, oberflächliche Hilfen in Rezeptform (in Form von
Ratschlägen), statt des Gestaltens eines nachhaltigen Beziehungsprozesses. Es
gibt nur oberflächliche Anpassungsverfahren, statt vertrauensvoller Kooperation
und einem Beziehungserleben. Schlussendlich lässt sich feststellen, dass die Ökonomisierung
erhebliche Auswirkungen auf die Praxis hat. Es entsteht immer mehr eine Aushöhlung
und Entstellung einer subjektorientierten Kinder- und Jugendhilfe durch die
zunehmende Ökonomisierung, dies hat drastische Folgen. Die andauernde chronische
Überlastung verkürzter Hilfen führt zu erschöpften, selbstentwerteten,
frustrierten Fachkräften an der Basis! Junge Menschen und Familien mutieren in
dieser ungesteuerten Logik zum Warengut eines Kinder- und Jugendhilfemarktes.
Es lässt sich abschließend feststellen, dass eine prozessorientierte
Beziehungsgestaltende Sozialpädagogik so nicht mehr umsetzbar ist.
Referierende:
Prof. Dr. Mechthild Seithe
Thema:
Wie kann sich eine kritische Sozialarbeiterin auf die neoliberale Praxis
vorbereiten?
Im vorigen Vortrag wurden die Folgen
der neoliberalen Transformation der Gesellschaft und insbesondere der Sozialen
Arbeit und ihrer Praxis dargestellt und es wurde deutlich gemacht, wie weit
sich die transformierte Soziale Arbeit entfernt und abgewendet hat von einer
Sozialen Arbeit, die den Menschen zugewandt ist, wie sie sich z.B. noch im
geltenden KJHG bzw. SGB VIII darstellt.
Die
Neoliberalisierung des Sozialen und der Gesellschaft ist kein Modetrend und
auch nicht einfach nur der Einbruch der Technifizierung in alle Lebensbereiche,
es ist eine wirtschaftliche und ideologische grundlegende
Gesellschaftskonzeption, die auf eine politische Entscheidung derjenigen
zurückgeht, die von dieser Entwicklung profitieren und die nun alles tun, diese
Entscheidung als unumstößlich, zwingend und selbstverständlich darzustellen. So
formuliert z.B. auch Thiersch: „Es wird suggeriert, es sei, wie es sei, es
könne nicht anders sein, dies sei das Gesetz der Geschichte. Die globalisierte
Ökonomie ließe keine Wahl, es sei ein Naturgesetz, dem man sich nicht verwehren
könne“ (Thiersch 2013).
Die Aufgabe einer „kritischen Sozialen Arbeit“ zeigt sich vor allem im Bemühen um die Formulierung und Realisierung von Perspektiven einer anderen, veränderten Sozialen Arbeit.
Der
entscheidende Punkt ist, dass kritische Soziale Arbeit sich nicht arrangiert, sich nicht auf subversiven
Widerstand beschränkt und nicht versucht, das Ganze auszusitzen (wie es leider
z.B. schon der 11. Jugendbericht vormachte).
Vielmehr
müssen die grundlegenden Unvereinbarkeiten eines „Sozialen Marktes“ mit den
Zielen und Aufgaben der Profession Soziale Arbeit unmissverständlich klar gemacht werden.
Und es
geht darum, Konflikte eben nicht zu vermeiden.
Auch wenn es z.B. gerade für
Sozialarbeitende in der Praxis sehr schwierig scheint, sich zu wehren, auf
anderen Bedingungen zu bestehen und mit dem Finger auf Missstände und
Ungerechtigkeiten und auf Gesetzesverletzungen zu zeigen – kritisch denkende
SozialarbeiterInnen können sich nicht hinter diesen Schwierigkeiten verstecken.
Die Geschichte der Sozialen Arbeit,
also der ehemaligen Fürsorge, lehrt, dass Soziale Arbeit – wenn sie sich nicht
wehrt – u.U. vollständig in gesellschaftliche Verbrechen hineingezogen werden
kann. Auch die KollegInnen im Faschismus haben sich mehrheitlich angepasst,
haben sich damit beruhigt, dass sie ja nicht wirklich entscheiden
können, dass sie ja schließlich ihre Familie ernähren müssen, dass alles
vielleicht ja doch gar nicht so schlimm ist, wie es aussieht usw.
Welche Strategien der Gegenwehr sind generell und auch für Studierende möglich und sinnvoll?
Es gibt unterschiedliche Arten und
Ebenen von widerständigem Verhalten und Gegenwehr.
Sie können, je nach der Rolle und der
Stellung desjenigen, der Widerstand leisten will, unterschiedlich realisiert
werden und sich unterschiedlicher Methoden und Taktiken bedienen.
Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung
Zunächst
möchte ich das nennen, was man als kritische
Öffentlichkeitsarbeit bezeichnet könnte.
Es geht darum, aufzuklären, die Realität zu entlarven und Missstände, Skandale und Unzumutbarkeiten öffentlich bekannt zu machen. Wir sollten zum einen aufklären
Es geht darum, aufzuklären, die Realität zu entlarven und Missstände, Skandale und Unzumutbarkeiten öffentlich bekannt zu machen. Wir sollten zum einen aufklären
·
über
die Lebenslage unserer AdressatInnen,
·
zum
anderen über die Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse in der Sozialen
Arbeit selbst sowie
·
über
die gesellschaftlichen Hintergründe.
Egal ob als WissenschaftlerIn, als
Praktikerin oder auch als Studentin- es gibt hier viele Möglichkeiten:
o
Man
kann im Schutz einer Organisation oder Gruppe Leserbriefe schreiben und darin
die problematischen Praktiken sozialer Einrichtungen schildern.
·
Die
neuen Kommunikationsmedien stellen hier eine große Chance dar.
·
Aktionen,
konventionelle oder auch unkonventionelle sind auch heute immer noch sinnvoll.
Es steht hier die gesamte Palette der erprobten und auch neuer, kreativer
Aktionsformen zur Verfügung: von Mahnwachen, Demos und Spektakeln über Tagungen
und alternative Veranstaltungen bis zu Straßentheater, und anderen sichtbaren
Formen von Aktionen, die bei der Öffentlichkeit und der Presse Aufmerksamkeit
erregen.
Man kann aber auch - ganz einfach -
mit anderen Menschen über diese Themen reden und sie informieren. Auch das ist
schon Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehören z.B. auch schon Gespräche mit Freunden, bei denen sich
SozialarbeiterInnen einmal nicht scheuen, über die eigene Arbeit und
über die Lage in der Sozialen Arbeit zu reden.
Einmischen in den politischen Diskurs
Ein weiterer ganz allgemeiner, aber
durchaus konkret umsetzbarer Ansatz von politischem Widerstand (der oft mit der
Aufklärung auch zusammengeht) ist es, sich in den öffentlichen Diskurs zu
sozialpolitischen Fragen einzumischen.
Fast täglich passiert in unseren
Kommunen, an unseren Arbeitsplätzen, in unserer Stadt, unserer Hochschule und
auch in den Bundesländern, in Deutschland und in der globalen Welt etwas, was
dringend der Stellungnahme unserer Profession bedarf. Wir sind die Experten für das Soziale und wir sind parteilich für
die Menschen, die unsere neoliberal geprägte Gesellschaft meint verachten zu
können. Und wir haben etwas zu sagen!
Wir sollten dies deutlich machen,
indem wir zu Vorgängen, Beschlüssen, Entscheidungen, Vorfällen etc. nicht
schweigen, sondern laut und deutlich sagen, was davon aus unserer Sicht zu
halten ist.
Wir können in Seminaren politische
Diskussionen anregen, als Gruppe Positionspapiere schreiben und ins Netz
stellen, wir könnten z.B. auch eine alljährliche Preisverleihung für den
„Mitarbeiter feindlichsten Träger“ oder den Studenten feindlichsten – oder auch
den Studenten freundlichsten Prof ins Leben rufen.
Wichtig ist, dass wir aufhören uns und unsere Meinung zu verstecken, für uns zu behalten oder gleichgültig zu werden gegenüber den Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft und den Schicksalen sozial benachteiligter Menschen.
Praxisbezogener Widerstand
Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen
man im eigenen Arbeits- oder auch Studentenalltag ganz konkret Widerstand im
fachlichen Kontext leisten kann.
Einsatz für eine gute und anspruchsvolle Fachlichkeit
In der gegenwärtigen Praxis werdet ihr
ständig mit fachlichen Zumutungen konfrontiert, die meist ihre Ursache in den
neoliberalen Strukturen haben, z.B. mit
o
unzureichenden
Zeitkontingenten,
o
mangelnder
Kontinuität der Arbeit,
o
der
Festschreibung der Methoden,
o
der
Festlegung von Zielen u.ä.,
o
der
Anwendung von Sanktionen und Druck,
o
dem
Einsatz fachlich nicht zu begründender Kontrolle,
o
mit
der Ablehnung von Anträgen aus fiskalischen Gründen,
o
mit
Fehlentscheidungen aus fiskalischen Gründen,
o
mit
Unterbesetzungen etc.
Der
Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen, für die Anerkennung der fachlichen
Autonomie der Sozialen Arbeit, für Beziehungsarbeit oder auch für die
Einbeziehung der gesellschaftlichen Hintergründe in die Arbeit sind nicht nur
Forderungen im eigenen professionellen Interesse.
Sie sind gleichzeitig auch ein Kampf dafür, dass unsere Klientel die Unterstützung bekommen kann, die sie braucht und die ihr z.T. sogar per Gesetz zusteht.
Sie sind gleichzeitig auch ein Kampf dafür, dass unsere Klientel die Unterstützung bekommen kann, die sie braucht und die ihr z.T. sogar per Gesetz zusteht.
Beispiel
Prof aus der Schweiz…..
Es
ist heute schon ein politischer Widerstandsakt, für eine fachlich gute, nicht
neosoziale Soziale Arbeit einzustehen.
Bestehen auf Parteilichkeit
Widerstand zeigt sich darin, dass man
sich weigert, an einer am Arbeitsplatz
oder in Analogie im Studienkontext üblichen und oft sogar erwünschten verbale
und faktischen Abwertung sozial benachteiligter Menschen mitzuwirken.
JugendamtleiterInnen, die von Assis sprechen, ProfessorInnen, die abfällig von
der Klientel der Sozialen Arbeit sprechen. Es reicht dann nicht, selbst
gegenüber der unseren AdressatInnen parteilich und wertschätzend zu sein.
Unsere parteiliche, wertschätzende
Haltung sollten wir offensiv zeigen. Wichtig, dass wir auch von unseren
KommilitonInnen und PraxisanleiterInnen oder von unsern ProfessorInnen
einfordern, dass sie von der Klientel der Sozialen Arbeit mit Respekt und
Wertschätzung sprechen.
Es
gibt noch andere Ebenen von Widerstand, aber ich belasse es erst mal dabei…
Ganz generell gilt:
Wir
werden mit unserem Widerstand die gegenwärtige Entwicklung nicht von heute auf
morgen stoppen, aber wir werden sie öffentlich infrage stellen und damit eine
Alternative in den Raum stellen. Wir brauchen Veränderungen im Kleinen, die auf
die großen Ziele verweisen.
Rosa
Luxemburg spricht hier von revolutionärer Real-Politik. Es geht darum, dass der
„Knoten der Herrschaft nicht weiter festgezurrt“ wird.
Das heißt, Widerstand
ist immer sinnvoll, auch dann, wenn er zunächst nicht erfolgreich ist.
Was braucht man, um solchen Widerstand wirklich leisten zu können?
Das hört sich sicher jetzt sehr
anspruchsvoll und schwierig an.
Zugegeben, es wird nicht leicht sein,
mit den neoliberalen angeblichen Selbstverständlichkeiten angemessen umzugehen.
Was braucht man als BerufsanfängerIn
an Kompetenzen und Haltungen, damit man nicht geschluckt wird oder sich
notgedrungen anpasst, damit man in der Lage ist, Widerstand zu leisten und sich
zu wehren?
Qualifizierte fachliche Ausbildung und Kompetenz
Eine Soziale Arbeit, die sich zur Aufgabe macht, die neoliberalen Strukturen in ihren Arbeitsfeldern aufzubrechen und zurückzudrängen, muss als selbstbewusste und autonome Profession auftreten können, muss sich dieser Profession in ihren Kernstrukturen bewusst sein und ein hohes fachliches Niveau vorweisen können.
Wenn SozialpädagogInnen und
SozialarbeiterInnen sich ihrer professionellen Aufgaben, Zielsetzungen und der
methodischen Handlungsorientierung sicher sind, haben sie eine solide Grundlage
für für eine - wie Galuske sagt -:
„alltägliche Thematisierung und Skandalisierung der Folgen neoliberaler Spar-und
Kontrollpolitik und des folgenreichen Glaubens, „die menschliche Gesellschaft
müsse funktionieren wie Daimler-Crysler“ (Galuske 2008, S. 25).
1.a Gute fachlichen Qualifikation
Man braucht eine gute fachliche
Ausbildung, die nicht nur in die Lage versetzt, gute Soziale Arbeit zu machen,
sondern auch, notwendige Bedingungen für gute Soziale Arbeit benennen und
begründen zu können.
Die Aneignung der wissenschaftlichen
Hintergründe, der sozialarbeiterischen Handlungsweisen, das Einüben in
Reflexivität, das deduktive wie das hermeneutische Denken sind für eine
kritische Studierende unbedingt erforderlich, damit sie später in der Praxis
darauf zurückgreifen kann und sich nicht dazu verführen lässt, einfach nach
Vorlage und Anweisung zu arbeiten, wie es die neoliberale Praxis meisten erwartet.
Für SozialarbeiterInnen muss es
selbstverständlich sein, die eigenen Handlungen und Entscheidungen sowohl
fachlich wie auch ethisch begründen zu können und dabei auch unterschiedliche
Perspektiven zu überblicken.
Und sie sollte in der Lage sein, nach außen vermitteln zu können, was sie im Rahmen ihrer konkreten Arbeit als Soziale Arbeiterin für Aufgaben hat, was sie tut, warum sie es so macht, welche Bedingungen sie für ein solches Handeln braucht und welche Folgen es haben wird, wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind.
Und sie sollte in der Lage sein, nach außen vermitteln zu können, was sie im Rahmen ihrer konkreten Arbeit als Soziale Arbeiterin für Aufgaben hat, was sie tut, warum sie es so macht, welche Bedingungen sie für ein solches Handeln braucht und welche Folgen es haben wird, wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind.
1.b Fundierte Kenntnissen über die neoliberalen Transformationsprozesse und ihre Folgen
Die Kenntnis der neoliberalen
Transformation mit ihren politischen Hintergründen, ihren fachlichen
„Konzepten“ und ihren praktischen Konsequenzen ist unabdingbar.
Wer sich hier nicht gut auskennt, wird
später nicht argumentieren können und scheitern. Die Kenntnis dieser Inhalte
ist notwendig, damit man weiß, was passiert und warum es passiert. Das aber ist
eine Voraussetzung dafür, dass man sich gegen Zumutungen fachlicher oder
ethischer Art wehren kann und dagegen argumentieren kann.
All
das, was mein Kollege Matthias Heintz vorhin hier erzählt hat, das sollten Sie
sich intensiv aneignen.
1.d Und schließlich:
Diese beiden Aspekte, also die
Aneignung der Sozialen Arbeit einerseits und die Kenntnis der neoliberalen
Transformationsstrukturen dürfen nicht nebeneinander stehen bleiben. Es muss
eine aktive Auseinandersetzung mit
diesen Widersprüchen führen.
Erst das ermöglicht es, dass man die
neoliberalen Strukturen durchschaut und mit ihnen kritisch und widerständig
umgehen kann.
Ethische und fachliche
Haltungen und Werte
Eine gute fachliche Qualifikation und
die Fähigkeit, neoliberal gesteuerte Prozesse zu erkennen und zu analysieren
allein reichen aber nicht aus.
Soziale Arbeit hat auch sehr viel mit
Haltungen zu tun.
Hinzu kommt also die Notwendigkeit,
bestimmte fachliche Haltungen und Positionen sowie ethische Perspektiven
Sozialer Arbeit (eben nicht im nicht neoliberalen Verständnis) im Rahmen des Studiums (wie natürlich auch
später weiter in der Praxis) anzueignen, zu internalisieren und zu lernen, sie
konkret in praktisches Handeln umzusetzen, als da z.B. sind
·
Respekt
gegenüber der Klientel,
·
transparente
Kommunikation,
·
motivierende
Kommunikation,
·
Parteilichkeit,
·
Bereitschaft
zur Aushandlung etc..
Untersuchungen zeigen, dass unter
Sozialarbeiterinnen heute leider Haltungen bestehen, sich deutlich von den oben
genannten Haltungen unterscheiden. Timm Kunstreich führte in diesem
Zusammenhang den Begriff Sozialrassismus
ein und meint damit eine Haltung, die Menschen auf grund ihres niedrigen
sozialen Status verachtet und ausgrenzt. Diese Haltung gibt es längst auch bei
vielen SozialarbeiterInnen.
Nur ein Beispiel:
Ingo Zimmermann hat in einer Befragung
von 221 Studierenden der Sozialen Arbeit und 89 PraktikerInnen festgestellt,
dass in beiden Gruppen beinah die Hälfte z. B. der Meinung ist, dass Menschen,
die Sozialleistungen wie ALG II beziehen, mit Kürzungen der Leistungen bestraft
werden sollen, wenn sie nicht jede verfügbare Arbeit annehmen.
Das aber heißt:
Die Auseinandersetzung mit Kollegen
oder Vorgesetzen, die die ethischen Haltungen unserer Profession nicht teilen
oder sogar als negativ, überholt, romantisch bewerten, kommt unausweichlich auf
jede BerufsanfängerIn zu, will sie sich nicht anpassen und ihr fachliches und
ethisches Gewissen betrügen.
Wer diese Haltungen nicht wirklich
angeeignet und in sein Werterepertoire übernommen hat, wird es möglicherweise
nicht einmal merken, wenn von ihm plötzlich menschenverachtende oder zumindest
Menschen nicht achtende Haltungen und Verhaltensweisen abverlangt werden.
Die Aneignung dieser
sozialpädagogischen Haltungen, die einem humanistischen Menschenbild verpflichtet
sind, geht nicht so zwischendurch und nebenbei sondern erfordert
selbstkritische Übung und eine ehrliche positive innere Positionierung zu
diesen Haltungen.
Kämpferische, widerständige Haltung
Sozialarbeit
braucht nicht nur eine kritische, sondern zugleich auch eine kämpferische
Haltung gegenüber den vorzufinden Praxisbedingungen.
Eine Kritik der Sozialen Arbeit, die
dabei stehen bleibt, die systemerhaltende Tendenz und die Abhängigkeiten der
Sozialen Arbeit vom herrschenden politischen System zu entlarven, bleibt in
ihrer Kritik abstrakt, ist nicht in der Lage der Praxis und den Menschen
gerecht zu werden und ist damit für die politische Orientierung der Praxis
Sozialer Arbeit weitgehend nutzlos. Es geht genauso darum, konkrete
Veränderungen zu erkämpfen, sich in reale Auseinandersetzungen zu begeben und
Widerstand zu leisten.
Im Folgenden werde ich einige Aspekte
einer solchen kämpferischen Haltung erläutern:
3.a Zur Kenntnis nehmen der unterschiedlichen Interessen
Widerständig sein fängt damit an, dass
man bereit ist, bestehende Interessengegensätze zu sehen und ernst zu nehmen.
Viele glauben, dass sie bessere Verhältnisse für ihre Arbeit durchsetzen könnten, wenn es ihnen gelänge, z.B. die Politikerinnen ausführlich zu informieren und aufzuklären über das, was Soziale Arbeit eigentlich ist und kann. Man hofft auf das Verständnis und den guten Willen der Politik.
Man sollte sich generell nicht der Illusion hingeben, man könnte in der gegenwärtigen ideologischen Lage mit Erfolg bei Politik und Verwaltung um Verständnis für sozialpädagogische, humanistische Anliegen werben.
Es geht nicht um mangelnde Informationen dieser Protagonisten, sondern um gegensätzliche Interessenlagen, in die z.B. auch Verwaltung eingebunden ist. Die Behebung von Informationsmangel oder falscher Information wird diese Interessenlagen nicht verändern können.
Viele glauben, dass sie bessere Verhältnisse für ihre Arbeit durchsetzen könnten, wenn es ihnen gelänge, z.B. die Politikerinnen ausführlich zu informieren und aufzuklären über das, was Soziale Arbeit eigentlich ist und kann. Man hofft auf das Verständnis und den guten Willen der Politik.
Man sollte sich generell nicht der Illusion hingeben, man könnte in der gegenwärtigen ideologischen Lage mit Erfolg bei Politik und Verwaltung um Verständnis für sozialpädagogische, humanistische Anliegen werben.
Es geht nicht um mangelnde Informationen dieser Protagonisten, sondern um gegensätzliche Interessenlagen, in die z.B. auch Verwaltung eingebunden ist. Die Behebung von Informationsmangel oder falscher Information wird diese Interessenlagen nicht verändern können.
Als
kritische SozialarbeiterIn braucht man die Bereitschaft und den Mut, der
Tatsache ins Auge zu sehen, dass es sich hier um tatsächliche
Interessenkonflikte handelt:
·
Der
herrschenden Politik, der sie weitgehend steuernden Wirtschaft und der
konkreten neoliberale Sozialpolitik geht es gezielt um das Sparen an den Kosten
des Sozialen und darum, ein neoliberales Menschenbild durchsetzen, das durch
Entwertung und Exklusion die Ausbeutung der Menschen weiter erleichtert.
Und wenn Politikerinnen das nicht explizit so wollen oder es ihnen nicht bewusst ist, so dulden sie es immerhin.
Und wenn Politikerinnen das nicht explizit so wollen oder es ihnen nicht bewusst ist, so dulden sie es immerhin.
·
Die
kritische Soziale Arbeit dagegen will die Lebensbedingungen der Menschen
verbessern und etwas tun gegen die massiven Kollateralschäden eines
entfesselten Kapitalismus.
Aber
viele KommilitonInnen und KollegInnen lehnen es ab, diese Interessenkonflikte
zu benennen oder überhaupt zu sehen. Sie wehren sich dagegen, dass man
angeblich Feindbilder aufbaut („die da oben“, „der Chef“…). Sie wollen sich
nicht so hart erleben, sondern menschlich bleiben.
Dazu
muss angemerkt werden:
Wenn ich in diesem Zusammenhang von „den anderen“ rede, dann sind „die anderen“ nicht der ASD Mitarbeiter, der Jugendamtsleiter und auch nicht der Sozialdezernent, denn die bekommen ihre Weisungen ebenfalls „von oben“. Es geht nicht um das Schaffen von Feindbildern und nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um die klare und unverschleierte Feststellung, dass in unserer Gesellschaft massive Interessengegensätze bestehen und dass diejenigen in Wirtschaft und Politik, die die Macht haben, keine Soziale Arbeit mehr haben wollen, die wirklich im Interesse der Menschen handelt.
Wenn ich in diesem Zusammenhang von „den anderen“ rede, dann sind „die anderen“ nicht der ASD Mitarbeiter, der Jugendamtsleiter und auch nicht der Sozialdezernent, denn die bekommen ihre Weisungen ebenfalls „von oben“. Es geht nicht um das Schaffen von Feindbildern und nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um die klare und unverschleierte Feststellung, dass in unserer Gesellschaft massive Interessengegensätze bestehen und dass diejenigen in Wirtschaft und Politik, die die Macht haben, keine Soziale Arbeit mehr haben wollen, die wirklich im Interesse der Menschen handelt.
3.b Klare Haltung entwickeln und nicht beirren lassen
Zum
zweiten gilt es, - erst mal für sich selbst und im zweiten Schritt dann auch
nach außen - eine klare, kritische
Position zu beziehen und immer wieder zu erneuern und sie sich gerade im
konkreten Fall vor Augen führen. So kann es aus unserer fachlichen und
politischen Sicht keine Akzeptanz für die Dominanz der Verwaltung und des
betriebswirtschaftlichen Denkens in der Sozialen Arbeit geben, grundsätzlich
nicht. Was nicht heißt, dass Sie unter solchen Bedingungen gar nicht mehr
arbeiten dürften. Aber der Widerspruch muss klar sein und permanent klar sein.
Es geht darum, als Person und als Gruppe eine andere Haltung zu entwickeln, diese hochzuhalten und gegenüber den Zumutungen des Neoliberalen in unserer Profession aktiv und deutlich zu vertreten.
Lassen Sie sich nicht als Nörgler oder „Jammerlappen“ abspeisen. Wo etwas stinkt, muss das laut gesagt werden.
Es geht darum, als Person und als Gruppe eine andere Haltung zu entwickeln, diese hochzuhalten und gegenüber den Zumutungen des Neoliberalen in unserer Profession aktiv und deutlich zu vertreten.
Lassen Sie sich nicht als Nörgler oder „Jammerlappen“ abspeisen. Wo etwas stinkt, muss das laut gesagt werden.
3.c Konflikte durchstehen, nicht meiden
Widerstand
bedeutet, Konflikte durchzustehen, ihnen nicht aus dem Weg zu gehen.
Tatsächlich sind die erforderlichen Veränderungen nicht ohne Einsatz und nicht
ohne die Bereitschaft zu haben, die real bestehenden Konflikte offen anzugehen
und sie nicht durch faule Kompromisse unter den Teppich zu kehren.
Wer
davor zurückscheut, wird sich mit kleinen Reformen zufrieden geben und dazu
beitragen, dass letztlich alles so weiter geht bzw. noch fester verankert wird.
3.d Widerstand zum persönliches Anliegen machen
Und
schließlich sei noch auf folgende Tatsache hingewiesen:
Widerstand
gelingt nur dann, wenn man ihn als persönliches und existentiell wichtiges
Anliegen für sich selbst akzeptiert hat und erlebt. Es geht eben nicht um ein
bisschen Aufbegehren und ein bisschen Reform und Verbesserungen, sondern um
existentielle Fragen dieser Gesellschaft und des Lebens in dieser Gesellschaft.
Ohne
persönlichen Mut und die Bereitschaft, sich zu engagieren, auch Risiken
einzugehen und private Zeit zu investieren, wird es nicht gelingen, wirklich
Widerstand zu leisten.
3.e Im Übrigen
gehören auch Geduld und Ausdauer zu diesen erforderlichen Einstellungen.
Ein
Vorbild für subjektorientierte Sozialarbeitsvarianten ist Hans Thiersch,
welcher auch als Vater der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit
bezeichnet wird. Die Lebensweltorientierung sollte vordergründig sein.
BündnispartnerInnen und Gruppenstrukturen
Und
schließlich, auch das gehört zu den Voraussetzungen für eine kämpferische,
widerständige Grundhaltung:
Für einen gelingenden Widerstand braucht man – neben den oben schon dargestellten persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Haltungen vor alles eins:
Für einen gelingenden Widerstand braucht man – neben den oben schon dargestellten persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Haltungen vor alles eins:
Sozialarbeitende
benötigen für ihren Widerstand die Solidarität der Gleichgesinnten und ggf. den Schutz und die
Unterstützung einer starken Interessenvertretung und Organisation.
In jedem Fall ist es sinnvoll und notwendig, gemeinsam zu handeln. Man sollte nicht versuchen, sinnlose Einzelkämpfe zu führen.
In jedem Fall ist es sinnvoll und notwendig, gemeinsam zu handeln. Man sollte nicht versuchen, sinnlose Einzelkämpfe zu führen.
Das
gilt in der späteren Praxis, aber es gilt auch schon im Studium: wichtig ist
es, an einer aktiven, qualifizierten
Gruppe von SozialarbeiterInnen oder Studierenden der Sozialen Arbeit aktiv
teilzunehmen,
·
dort gemeinsame Strategien zu entwickeln,
·
zu
diskutieren,
·
sich
gegenseitig dabei zu helfen, Fragen und Probleme zu lösen und
·
von
dieser Gruppe ganz konkret emotionale und praktische und auch politische
Unterstützung zu erfahren.
Das können spontane Gruppen sein, kritische Arbeitsgruppen wie der AKS, Aktionsgemeinschaften, Kollegengruppen, regionale Untergruppen von Gewerkschaften oder vom Berufsverband. Wichtig ist, dass man – über eine Mitgliedschaft hinaus – selber aktiv in einem Gruppenzusammenhang tätig ist.
Noch
ein Tipp:
Man muss als Gruppe aufpassen, dass man es vor lauter Aktionen, nicht versäumt, auch als Gruppe emotional und im Geiste zusammen zu wachsen.
Wichtig sind z.B. für diese Gruppen auch Treffen bei denen die eigene politische Bildung und Diskussion im Vordergrund steht. Man kann sich hierfür auch Leute von außen einladen, die von ihren Erfahrungen berichten oder theoretische Überlegungen vorstellen.
Man muss als Gruppe aufpassen, dass man es vor lauter Aktionen, nicht versäumt, auch als Gruppe emotional und im Geiste zusammen zu wachsen.
Wichtig sind z.B. für diese Gruppen auch Treffen bei denen die eigene politische Bildung und Diskussion im Vordergrund steht. Man kann sich hierfür auch Leute von außen einladen, die von ihren Erfahrungen berichten oder theoretische Überlegungen vorstellen.
Deshalb
ist es auch sinnvoll, gemeinsame Freizeitaktivitäten oder gemeinsame
Tagungsbesuche etc. zu unternehmen.
Politische Arbeit muss
auch Spaß machen und die Bedürfnisse nach Zusammenhalt befriedigen.
Wie kann man sich diese Kompetenzen und Haltungen aneignen?
Nun
stellt sich die Frage, wie man diese Voraussetzungen erwerben kann und welche
Instanzen dabei helfen.
Viele dieser Haltungen und Kompetenzen entwickeln und verfeinern sich im Verlaufe der Auseinandersetzungen von selbst.
Aber viel kann und sollte man im Vorfeld tun.
Da stellt sich zum einen die Frage: Was könnte die Hochschule zu dieser Vorbereitung tun?
Aber ebenso sollten Sie sich fragen: was können Sie selbst aus eigenem Antrieb machen.
Viele dieser Haltungen und Kompetenzen entwickeln und verfeinern sich im Verlaufe der Auseinandersetzungen von selbst.
Aber viel kann und sollte man im Vorfeld tun.
Da stellt sich zum einen die Frage: Was könnte die Hochschule zu dieser Vorbereitung tun?
Aber ebenso sollten Sie sich fragen: was können Sie selbst aus eigenem Antrieb machen.
Auf
beides will ich am Ende meiner Ausführungen noch eingehen.
Anteil der Hochschulen an der Entwicklung kritischer SozialarbeiterInnen zu handlungsfähigen Akteuren in der Praxis
Oft,
und ich denke zu Recht, werden die Hochschulen dafür verantwortlich gemacht,
dass Studierende, wenn sie auf die wirkliche Praxis treffen, sich widerstandlos
anpassen. Auch ich denke, dass die Hochschulen hier eine wichtige Rolle
spielen.
Für
die Hochschulen ist die Vermittlung von
Fachlichkeit die zentrale Aufgabe. Entsprechend stellt sich die Frage, wie
es gelingen kann, dass Studierende eine solche Fachlichkeit aneignen und für
sich selbst ausbilden können.
o
Zum
einen sollte das Studium den Studierenden ermöglichen, sich ausreichend mit der
Frage, was Soziale Arbeit ist, auseinanderzusetzen. Dafür reicht es nicht, dass
sie unterschiedliche Theorien und Ansätze kennen und wiedergeben können. Die Studiernden müssen dazu befähigt
werden, ein eigenes Bild von Sozialer Arbeit zu entwickeln.
Soziale Arbeit ist nicht bloß als Summe der einzelnen Wissenschaftsbestände der Bezugswissenschaften zu sehen, sondern in ihrem ganzheitlichen Kern sowie mit ihren wissenschaftlichen, ethischen und parteilich-politischen Facetten zu begreifen.
Soziale Arbeit ist nicht bloß als Summe der einzelnen Wissenschaftsbestände der Bezugswissenschaften zu sehen, sondern in ihrem ganzheitlichen Kern sowie mit ihren wissenschaftlichen, ethischen und parteilich-politischen Facetten zu begreifen.
o
Hochschulen
müssen ihren Studierenden sowohl die Kenntnis der Sozialen Arbeit, ihrer
Wissensbestände und Haltungen vermitteln als auch eine gute Kenntnis in Fragen der Transformation der
Sozialen Arbeit, wie sie später in der Praxis vorgefunden wird.
o
Vor
allem aber gilt es, die sich aus diesen beiden Bereichen ergebenden Widersprüche intensiv zu bearbeiten.
o
Dazu
gehört z.B. auch, dass im Studium die gegenwärtige
Praxis ein zentrales Thema dieser Auseinandersetzung sein muss. Es gilt,
sich mit der gegenwärtigen Praxislage vertraut zu machen, die vorhandenen
Problemlagen kennen zu lernen und sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob
diese Praxis den eigenen Erwartungen entspricht und wie und ob man versuchen
kann, auf die gängige Praxis einen Einfluss zu nehmen.
Im Studium selbst betrifft dieser Punkt vor allem auch die Reflexion von Praxis.
Das würde z.B. bedeuten:
Im Studium selbst betrifft dieser Punkt vor allem auch die Reflexion von Praxis.
Das würde z.B. bedeuten:
o
fachliche
Entscheidungen der Praxis, mit denen man in der Reflexion konfrontiert wird,
knallhart auf ihre Fachlichkeit und auf die dabei gezeigte ethische Haltung hin
zu prüfen,
o
an
die Fachlichkeit Ansprüche zu stellen und sich nicht mit Billigvarianten
zufrieden zu geben.
o
Die
gezeigten Haltungen der Professionellen im konkreten Fall zu prüfen und
Alternativen anzueignen
o
Beispiel Seminar……
Des
Weiteren darf sich Praxisreflektion nicht auf die rein fachliche Fragen
beschränken, sie muss sich mit den
gegebenen Hintergründen und Bedingungen für die Fachlichkeit und die dort
ablaufenden fachlichen Prozesse auseinandersetzen.
So gilt es z.B. fachlich nicht zumutbare Zustände und Herausforderungen offen aufzudecken und sich dann im Praktikum z.B. zu weigern, aktiv daran mitzuwirken (Das für diesen Widerstandweg eine gute, reflektierte und selbstbewusste Fachlichkeit Voraussetzung ist, soll erwähnt aber hier nicht weiter vertieft werden).
So gilt es z.B. fachlich nicht zumutbare Zustände und Herausforderungen offen aufzudecken und sich dann im Praktikum z.B. zu weigern, aktiv daran mitzuwirken (Das für diesen Widerstandweg eine gute, reflektierte und selbstbewusste Fachlichkeit Voraussetzung ist, soll erwähnt aber hier nicht weiter vertieft werden).
Aber auch fachliche Expertise und Reflexivität reichen noch lange nicht aus, will man sich später als fachlich kompetenter und engagierter, sich politisch begreifender Sozialarbeitender behaupten.
Die Hochschule hätte aber prinzipiell noch viele weitere Möglichkeiten.
Sie könnte deutlich mehr leisten als eine gute fachliche Ausbildung:
o
Sie müsste den Studierenden auch die
Erfahrung vermitteln und die Einsicht für sie erlebbar machen, dass man sich
wohler fühlt, wenn man zu Problemlagen und Zumutungen eine offensive, aktive, mutige Haltung einnimmt, als wenn man sich duckt
und versucht, alles einfach irgendwie auszuhalten.
o
Das bedeutet, dass Studierende in ihrem
Studium gemeinsam erste Erfahrungen mit
störrischem Bestehen auf Fachlichkeit, mit Öffentlichkeitsarbeit und
Einmischungsstrategien machen können sollten.
o
Es ist unbedingt notwendig, den Betroffenen konkrete Erfahrungen mit Solidarität und
mit gemeinsamem, auch politischem Handeln zu ermöglichen. Das kann z.B. in
den oben erwähnten fach-und/oder sozialpolitisch engagierten Projekten
erfolgen.
Neben der Vermittlung der Bereitschaft zu Gegenwehr und offensiver Einmischung, ist es auch Sache der Hochschule, dazu beizutragen, dass bei den Studierenden die heute verbreitete Haltung: „Jeder sorgt heute eher für sich allein“, aufgebrochen wird.
Aber auch in der Organisation des Studiums sollte man deshalb bewusst Elemente einbauen, die für die Studierenden die Lernchance für die Erfahrung eröffnen, dass gemeinsames Handeln weiter bringt und dass Solidarität sich für alle auszahlt.
Das würde voraussetzen, dass Hochschule auch selbstkritisch darauf schaut, wo der eigene Studiengang selbst zu einer Entsolidarisierung der Studierenden beiträgt und dann konsequente Änderungen einleiten.
Neben der Vermittlung der Bereitschaft zu Gegenwehr und offensiver Einmischung, ist es auch Sache der Hochschule, dazu beizutragen, dass bei den Studierenden die heute verbreitete Haltung: „Jeder sorgt heute eher für sich allein“, aufgebrochen wird.
Aber auch in der Organisation des Studiums sollte man deshalb bewusst Elemente einbauen, die für die Studierenden die Lernchance für die Erfahrung eröffnen, dass gemeinsames Handeln weiter bringt und dass Solidarität sich für alle auszahlt.
Das würde voraussetzen, dass Hochschule auch selbstkritisch darauf schaut, wo der eigene Studiengang selbst zu einer Entsolidarisierung der Studierenden beiträgt und dann konsequente Änderungen einleiten.
Möglichkeiten der Selbstqualifizierung kritischer Studierender mit Blick auf eine sie erwartende neoliberale Berufspraxis
Selbst
wenn die Hochschule vieles bietet und Sie dabei unterstützt, ein kritisches
Verständnis der gegenwärtige Lage zu entwickeln - man kann und muss auch als Studierende selbst aktiv werden.
o
Für sich kritisch verstehende
Studierende ist es
zum einen eine geradezu politische Aufgabe, sich fachlich zu qualifizieren, sich theoretisches und
praxisorientiertes Wissen anzueignen, sich mit den Widersprüchen zwischen
Sozialer Arbeit und neoliberaler Praxis auseinander zu setzen und vor allem,
ein souveränes Selbstverständnis als Sozialarbeitende zu entwickeln und sich
eine eigenes sozialarbeiterisches Konzept zu erarbeiten und anzueignen.
o
Des
Weiteren muss man selbst etwas dafür tun, dass man sich erforderliche, eben auch widerständige Haltungen aneignet und
konkrete Erfahrungen damit macht, wie
man sich gegen neoliberale Zumutungen verhalten kann und Strategien für
eine gelingende und erfolgreiche Gegenwehr entwickelt.
Das
geht am besten in einer Gruppe von Gleichgesinnten, mit denen man solche
Lernprozesse gemeinsam durchläuft. Das macht Spaß braucht aber natürlich auch
Zeit. Die muss man sich nehmen, wenn man es ernst meint.
Nun
zwei Beispiele:
1.
Was
kann eine Gruppe kritischer Studierender z.B. in Sachen Öffentlichkeitsarbeit
oder Einmischen in den politischen Diskurs auf die Beine stellen?
·
Ich
kenne Gruppen, die mit viel Erfolg öffentliche
Diskussionsveranstaltungen durchführen. Diese müssen inhaltlich und vom
Vorgehen her gut vorbereitet und möglichst über andere Medien (z.B. Webseite
der Gruppe) interessant aufgearbeitet werden. Solche Veranstaltungen führen oft
auch dazu, dass neue Leute zur Gruppe stoßen.
·
Eine kritische Gruppe kann sich dazu entschließen,
gemeinsam einen Text zu schreiben,
z.B. Information zur Lage in Flüchtlingsheimen, die man als Praktikantin
erfahren hat. Sie kann einen Blog betreiben (s. einmischen). Das bedeutet alles
ist Öffentlichkeitsarbeit.
·
Der
springende Punkt ist bei so etwas, ob es gelingt, mit diesen Veröffentlichungen dann Politik auch zu
machen (z.B. einen solchen Text im Seminar diskutieren, als Grundlage für
Flugblätter nehmen, als Grundlagenmaterial für eine Diskussionsveranstaltung
etc.)
2.
Wie kann eine Gruppe sich gegenseitig helfen beim Erwerb von
Kenntnissen, Haltungen und Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit den
neoliberalen Tendenzen in der Praxis?
Ich möchte am Ende meiner Ausführungen an einem konkreten Beispiel zeigen, wie man vorgehen könnte und was alles man auf diese Weise probieren und versuchen, erlernen, üben, erarbeiten und festigen, kann.
Ich möchte am Ende meiner Ausführungen an einem konkreten Beispiel zeigen, wie man vorgehen könnte und was alles man auf diese Weise probieren und versuchen, erlernen, üben, erarbeiten und festigen, kann.
Es
gibt ein Buch, in dem 60 PraktikerInnen kritisch über ihre Arbeitssituation berichten.
Dabei werden viele Probleme deutlich: Fachlich unzureichendes Handeln,
Spardiktate die Effizienz vor Fachlichkeit stellen, entwertender Umgang mit
Menschen, oberflächliche Hilfe aus Kostengründen, Arbeitsüberlastung und
Verbot, selbst zu denken und vieles mehr.
Diese
Situationen werden jeweils von der Person geschildert, die sie erlebt hat und
die versucht hat, damit umzugehen. Das sind typische, zum Teil sehr kritisch zu
bewertende Situationen und ihre „Lösungen“ sind keineswegs idealtypisch. Vieles
wäre zu verbessern.
Mit
diesen Geschichten ließe sich fantastisch arbeiten.
Man
könnte in der gemeinsamen Diskussion die Situation analysieren:
Die
Gruppe könnte zu folgenden Fragestellungen arbeiten:
·
Wie
ist die hier geleistete fachliche Arbeit einzuschätzen -
und warum? Gäbe es Alternativen? Was hätte man besser machen können?
Lerneffekte:
Lerneffekte:
o
Bewusstwerden
der eigentlichen Möglichkeiten Sozialer Arbeit, ihrer Aufgaben und der
notwendigen Rahmenbedingungen.
o
Erlernen,
Üben eines bewussten und diskursiven Umgangs mit der eigenen Fachlichkeit.
o
Begründen
von fachlichem Verhalten,
o
Üben
der fachlichen der Argumentation.
·
Welche
Rahmenbedingungen und methodischen wie organisatorischen Vorgaben sind hier als
problematisch anzusehen?
Wodurch sind diese Probleme entstanden? Welche Bedingungen würden eigentlich
gebraucht?
Lerneffekte:
Lerneffekte:
o
Analysieren
der schädlichen und ungünstigen Rahmenbedingungen,
o
Analysieren
der Hintergründe und politischen Absichten,
o
Identifizieren
der neoliberalen Merkmale Sozialer Arbeit wie Verbot von Parteilichkeit,
Technifizierung, Deprofessionalisierung, Verweigerung von Unterstützung etc.
·
Welche
Möglichkeiten
eines widerständigen Denkens und Verhaltens klingen in diesem Bespiel
an? Welche Lösungen wären denkbar? Welche Schritte könnte man gehen?
Lerneffekte:
Lerneffekte:
o
Erweiterung
des Lösungsspektrums,
o
Rollenspiel
von schwierigen Gesprächen (mit Vorgesetzen, Team),
o
Erfahren
der Situation fsür sich selbst im Rahmen der Methode der Aufstellung
o
Entwicklung
kreativer Ideen,
o
Entwicklung
von Strategien, von Aktionsplänen usw.
Gleiches kann man natürlich mit jeder
beliebigen konkreten Praxissituation, mit jedem Fallverlauf, mit jedem Konflikt
im Team oder mit den Vorgesetzten machen, die eines der Gruppenmitglieder aus
eigener Erfahrung einbringt. Die aufgeschriebenen Geschichten haben den
Vorteil, dass hier die Frage der Schweigepflicht nicht entsteht und alle die
gleiche Informationsgrundlage für die Bearbeitung haben.
Das wäre z.B. eine ganz konkrete
Antwort auf die Frage:
Wie
kann sich eine kritische Sozialarbeiterin auf die neoliberale Praxis
vorbereiten.
Abschließende Diskussion
Wie kann ich mich noch besser über
neoliberale Auswirkungen informieren? Wie kann ich etwas ändern?
In der anschließenden Diskussion gab Mechthild
Seithe eine Leseempfehlung für das Buch „Das
kann ich nicht mehr verantworten!“; erschienen ist dies beim Paranus Verlag.
In diesem Buch gibt es verschiedene anonyme Praxisbeispiele von Sozialarbeitern.
Diese könnten beispielsweise als Diskussionsgrundlage genutzt werden, wenn man
sich innerhalb einer Gruppe mit prekären Arbeitsbedingungen auseinandersetzen
will. Folgende Fragen könnten bei der Analyse der Berichte gemeinsam diskutiert
werden „Wie ist die Arbeit die hier beschrieben wird einzuschätzen?
Unterschiedliche Möglichkeiten wie Soziale Arbeit aussehen soll erarbeiten?“
Eine weitere Leseempfehlung gab es für
das „Schwarzbuch“ „Soziale Arbeit“. Das
aktuelle Buch von Mechthild Seithe und Matthias Heintz „Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung“ ist auch
sehr empfehlenswert. Es ist kostenfrei als PDF verfügbar: http://shop.budrich-academic.de/produkt/ambulante-hilfe-zur-erziehung-und-sozialraumorientierung/?v=3a52f3c22ed6
Zurzeit entsteht außerdem eine
interessante Wanderausstellung mit dem Titel „Der Mensch ist keine Ware“.
Zum Ende der Diskussion wurde nochmals
hervor gehoben, dass Sparen als Kürzen sozialer Rechte verstanden werden kann
und die Hilfe die zu kurz greift wesentlich höhere Kosten verursacht. Das Leid
der Menschen würde heutzutage als gewinneinbringender Faktor angesehen werden
und es würde versucht werden den Bedarf teilweise durch Ehrenamtlichkeit zu
decken was zur Entprofessionalisierung beitragen würde. Die Strategie der leeren
Kassen, würde als Kürzungsgrund ausgenutzt werden. Man müsse dafür kämpfen, dass
die Soziale Arbeit eine Menschenrechtsprofession bleibt!
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