Sonntag, 17. Juli 2016

Ausstellung in Roskow: Zwischen den Welten: Übergangsphasen

"Der Titel „Zwischen den Welten – Between the Worlds“ lässt sich zum einen metaphorisch auf die zeitliche Übergangsphase von der Kindheit und Jugend zum Erwachsenenalter beziehen, eine Inkubationszeit, die sich heutzutage immer mehr auszuweiten scheint, Stichwort: „Infantilisierung der Gesellschaft“. Zum Anderen lässt der Titel auch an die konkret „zwischen den Welten“ irrenden Flüchtlingstrecks denken, zu denen viele Kinder und Jugendliche gehören. Für sie bedeutet der Aufbruch ins Ungewisse oft einen jähen Abbruch der Kindheit oder sogar des Lebens."

Noch bis 18.09 ist die Ausstellung "Between the Worlds" in Roskow (Sa. - So. 12 - 18Uhr). In der Ausstellung gibt es, neben einigen Bildern und Skulpturen,  zwei Videoinstalationen die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzen. Ein Schwerpunkt der Ausstellung wird auf die Situation in Syrien gelegt. Eine Videoinstalation zeigt Bombenwerfer, Kinder die in einem verfallenen Haus spielen, während Schüsse zu hören sind und vergleicht die Berichterstattung kriegerischen Konflikte mit einer Zirkusmanage in der nur ein verzerrter Ausschnitt der Wirklichkeit gezeigt werden soll. Abschließend wird ein Ausschnitt des Weltraumfluges von 1987 gezeigt in dem Muhammed Faris ein kurzes Gespräch mit dem Präsidenten führt. Sie reden über die Schönheit Syriens, der Bericht wird abrupt überblendet mit aktuellen Kriegsbildern, während die Tonspur weiter läuft. Die zweite Videoinstalation befasst sich mit Israel und zeigt eine Diskussion in der das aktuelle Flüchtlingsgeschehen thematiert wird.     

Ein weiteres Thema das aufgegriffen wird ist die Kindheit chinesischer Wanderarbeiter: Schätzungsweise 60 Millionen chinesische Kinder von Wanderarbeiter/innen wachsen fernab ihrer Eltern auf, weil das seit den 1950er-Jahren bestehende „Hukou System“ sie an ihre Heimatprovinzen bindet. Nur dort können sie die Schule besuchen. Auch Jia wuchs bei den Großeltern auf. Als wundersamen Ort „zwischen den Welten“ der Schule und des Zuhauses empfand sie Mini-Shops, in denen Kinder für kleines Geld Süßigkeiten bekommen und das Gefühl des „Zurückgelassenseins“ für kostbare Momente weggewischt erscheint. Im Schloss Roskow eröffnet die mittlerweile in Berlin beheimatete Chinesin einen dieser magischen Mikroshops.

Die Ausstellung gibt interessante, kritische Einblicke und kostet für Studierende 5€.

Sonntag, 10. Juli 2016

Die 100 Sprachen des Kindes?



Im Mai konnten die Studiengänge „Angewandte Kindheitswissenschaften“, „Kindheitspädagogik“ und „Leitung von Kindertageseinrichtungen – Kindheitspädagogik“ einen tieferen Einblick in die Reggio Pädagogik  erhalten, durch eine Weiterbildungsmöglichkeit in Reggio Emilia. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zur Reggio Pädagogik und den aus der Fortbildung resultierenden Erkenntnissen gegeben werden.

In der Reggio Pädagogik wird das Kind als Forscher gesehen. Ziel der Pädagogen ist es ihm auf vielfältige Weise bei der Entdeckung seiner Lebenswelt zur Seite zu stehen. Einen Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit stellt die Dokumentation da. Zur Dokumentation werden Interaktionen der Kinder notiert oder mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet und später gemeinsam interpretiert (für die Vorbereitung und Nachbearbeitung stehen zusätzliche Zeiträume zur Verfügung). Als eine Dokumentationsmöglichkeit kann das Mitzeichnen von sozialen Interaktionen und eine parallele Dokumentation von Gesprächsinhalten gesehen werden.  Die Interpretation und Dokumentation richtet sich nach keiner speziellen Methode. Kinder werden bei der Interpretation der Daten nicht einbezogen, sie findet unter den Erziehern statt.

Das Atelier nimmt in der Reggio Pädagogik eine zentrale Rolle als Forschungsort ein. Es ist kein wissenschaftliches Museum - Lösungen sollen dort selbst durch experimentelles Vorgehen entdeckt werden. Um besser zu veranschaulichen, was ein Atelier ist, sollen nachfolgend einige Beispiele für mögliche Ateliers angeführt werden:

·  Küche: Als Ausprobierort zum Entdecken von Gewürzen, Gerüchen, Geschmackssinnen, experimentelles Kochen; in jeder Kita gibt es zwei Köche und eine zur Verfügung stehende Küche in der auch mit den Kindern gekocht werden kann
·       Kunst: experimentieren mit Farben, Recycling Materialien…
·  Naturwissenschaften: Lichtinstallationen -> Forschen zu Licht und Schatten, Spiegelungen, Vergrößerungseffekte, Schwarzlicht…

  • Garten: Als Möglichkeit zur Entdeckung von Insekten und Pflanzen, Licht und Schatten

  • In der Reggio Ausstellung gab es dazu ein Beispiel für Naturforschungen, zu dem Thema Gräser, in denen die Kinder folgenden Fragen nachgingen:  Are grasses male or female? How can you tell? What does a little grass have to learn? And who teaches it? And who puts the little seeds in the earth? How is grass born? How does grass move?

o   Naturraum: Wasserkrug mit Kaulquappen, Teichpflanzen, Blumen…

Zum Zusammenhang von Pädagogen und Ateliers wurde im Centro Emilia folgender zentraler Satz geäußert: „Ich lehre dir keine Kompetenzen –Ich gebe dir verschiedene Räume zur Verfügung, wo du deine eigenen Antworten entwickeln kannst.“ In den von Erwachsenen vorbereiteten Räumen sollen Kinder ihre verschiedenen Sprachen ausleben können und die Welt entdecken als Forscher. Die Erzieher  begleiten und dokumentieren diesen Prozess. Hierbei sollte hinterfragt werden, wie man Kinder bei der Vorbereitung von Ateliers einbinden kann und ob deren Wünschen für mögliche Forschungsräume Berücksichtigung erhalten.

Im Folgenden soll nochmal kurz auf die Bedingungen zu künstlerischen Ateliers eingegangen werden. In den Ateliers arbeiten „Atelierista“ die ein Kunststudium absolviert haben. Die Zeichnungen und Bastelarbeiten der Kinder werden stets aufbewahrt, kreative Erzeugnisse werden als wichtig betrachtet. Diese besondere Wertschätzung, kann jedoch auch mit Chaos verbunden sein, wenn es nur wenig Aufbewahrungsmöglichkeiten gibt. Des Weiteren sollte hinterfragt werden, wer entscheidet was wichtig ist und ob bei dieser Entscheidung Kinder einbezogen werden. 
Während der Fortbildung erhielten wir auch einen Einblick in eine Reggio Kita und konnten dort Pädagogen und eine Mutter zur Umsetzung der Reggio Pädagogik in der Praxis befragen. Zu den Räumlichkeiten der Kita konnten wir Folgendes feststellen:

·         Warme Farben,
·         Große und tiefe Fenster,
·         Einrichtung ist überwiegend aus Holz
·         Keine feststellbaren Rückzugsorte im Haus, aber im Außenbereich (Garten)
·         Ateliers mit Lichtspielen und Kunst
·         Briefkästen für Kinder (Austausch von Überraschungen/Geschenke/Nachrichten)
·         Wenig Spielzeug.

Abschließen kann festgestellt werden, dass in der Reggio Pädagogik ein wichtiger Schwerpunkt bei der Raumgestaltung liegt, was auch in der besuchten Kita ersichtlich wurde. Des Weiteren konnte in Erfahrung gebracht werden, dass es in der Reggio Pädagogik altershomogene Gruppen gibt. Kinder jüngeren Alters können somit nicht von den Erfahrungen älterer Kinder profitieren. 

Zur Sicht der Kinder konnten wir leider währen der Fortbildung keine Informationen einholen. Unklar bleibt auch die genaue Rolle der Erzieher. Es ist bisher nur ersichtlich, dass dieser soziale Interaktionen zwischen den Kindern unterstützen soll und als Begleiter zu sehen ist, der die Entwicklung des Kindes dokumentiert. Weitere Frage die wir uns dabei stellten waren: Wie ist das Verhältnis zwischen „Atelerista“ und ErzieherIn? Führen die kunstbasierte Ausbildung des „Atelerista“ und die pädagogische Ausbildung des Erziehers zu Spannungen?

Als letzter Punkt soll der Besuch der Universität Modena angeführt werden. Dort lernten wir das Forschungsprojekt „SharedMemories and Dialogue“[1] kennen. In dem es um das Teilen von Erinnerungen durch Kinder geht. Innerhalb des Projektes sollen Kinder wichtige Erinnerungsfotos vorstellen und dabei gefilmt werden. Die Agency der Kinder soll mithilfe der Fotos gestärkt werden, dazu soll die traditionelle Konversation, in der Lehrer Gespräche initiieren und Schüler antworten, verändert werden. Ziel ist die Anregung des Wechsels pädagogischer Muster. In der Abschlussdiskussion wurde auch die Reggio Pädagogik thematisiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass es bisher keine Forschungen zur Reggio Pädagogik gibt und diese  in einigen Punkten „als renovierungsbedürftig“ gilt. In diesem Zusammenhang soll noch erwähnt werden, dass auch kein Interesse für eine mögliche Forschungskooperation erkennbar war.



Donnerstag, 17. März 2016

Freie Schule Altmark




Meine Suche nach kindgerechten Grundschulen führte mich zur „Freien Schule Altmark“ (FSA) in der Nähe von Salzwedel, über die ich nun im Folgenden kurz berichten möchte. Die „Freie Schule Altmark“ ist eine staatlich anerkannte Grundschule, die für Freiheit, Geborgenheit und Individualität steht. Sie befindet sich in einer dörflichen Region und ist in einem umgebauten Bauernhof zu finden. Die Schule entstand 1994 durch eine Elterninitiative und beruht auf einem reformpädagogischen Konzept, welches einen Schwerpunkt auf Montessoripädagogik legt.

Am 8.03 hatte ich die Möglichkeit zu hospitieren und erhielt einen interessanten Einblick in die Schule. Ein gewöhnlicher Schultag beginnt in der FSA um 8:00 Uhr und endet um 13:00 Uhr. Die Klassen sind ab dem zweiten Schuljahr altersheterogen und bestehen aus bis zu 13 Schülern. Es gibt drei Klassengruppen, die erste erst Klasse (Löwenzähne) ist separiert und die zwei weiteren Gruppen (Wildblumen, Tausendblatt) setzen sich aus Schülern der zweiten bis vierten Klasse zusammen. Jede Klasse wird von einer ausgebildeten Montessoripädagogin geleitet. Ein Großteil der Schulzeit besteht aus für die Kinder aus frei wählbaren Angeboten, aber es gibt auch Pflichtfächer, wie beispielsweise Mathe, Deutsch und Englisch, die einmal die Woche besucht werden müssen. Desweiteren besteht eine verbindliche Teilnahme an der Morgen- und Abschlussrunde. Vor den Klassenzimmern befindet sich eine Übersicht aller Angebote, bei Interesse können die Kinder ihre Namensklammer an Angebote befestigen. Die Angebote wechseln auch und richten sich nach den Interessen der Schüler. Momentan gibt es beispielsweise einen Themenschwerpunkt zu „Flucht und Willkommenskultur“, auf welchen ich später noch genauer eingehen werde. Im Sommer gibt es für die Kinder die Möglichkeit den Schulgarten mitzugestalten, im Winter finden viele Kreativkurse statt (Handarbeit), des Weiteren gibt es auch ein Sportangebot. Während meiner Hospitation konnte ich in den Fächern: Englisch, Mathe und an einem spontanen Angebot teilnehmen.
Die Englischstunde, startete mit einem Smalltalk in dem alle Schüler befragt wurden, wie sie sich fühlen würden und kurz etwas über sich erzählten. Danach begann das Thema „Essen im Restaurant bestellen“. Dazu wurden Menükarten ausgeteilt und Jeder, sollte sein Wunschmenü bestellen. Kurz danach wurden die bestellten Menüs durch Bildkarten verteilt. Im Anschluss erfolgte Selbstarbeit, dazu teilten sich die Schüler selbst in Gruppen auf und gingen in verschiedene Räume. Die Lerngruppen bestanden aus bis zu vier Schülern. In der Lerngruppe, die ich beobachtete, gab es einen regen Austausch zu den Aufgaben, aber auch Gespräche mit unterrichtsfremden Themen, wie beispielsweise einer geplanten Friedensdemonstration in Salzwedel, bei der einige Schüler teilnehmen wollten. Jeder arbeitete in der Gruppe in seinem Tempo, einige waren schon etwas weiter (trotzdem entstand untereinander kein Leistungsdruck), wenn es Schwierigkeiten gab, wurde von anderen Schülern, die bereits weiter waren eine Hilfestellung gegeben.
Nach der Englischstunde, erfolgte der Matheunterricht. In diesem wurden zunächst verschiedene Knobelaufgaben mit Montessorimaterialien von der Lehrerin vorgestellt. Die Aufgaben hatten unterschiedliche Schwierigkeitsstufen und dienten teilweise als Training für eine „Känguru Matheolympiade“, die bald stattfinden sollte. Nachdem sich jedes Kind selbstständig und einige durch Beratung mit der Lehrerin eine Knobelaufgabe ausgesucht hatten, wurden diese einzeln oder auch in Gruppen gelöst.
In der letzten Stunde hatte sich für ein freies Angebot der Vater eines Kindes angekündigt, welcher aktiv in einer Flüchtlingsinitiative tätig ist. Er unterstützt beispielsweise in Griechenland Flüchtlinge durch ein von ihm kostenfrei bereitgestelltes Kochzelt,  in dem er Mahlzeiten zubereitete. Leider war er an diesem Tag durch einen dringenden Termin verhindert, deshalb entschlossen sich die Schüler dazu ihre Willkommensschilder weiter zu basteln und sangen zum Schluss der Stunde gemeinsam mit der Lehrerin ein Friedenslied, welches sie für eine Demonstration bei einer Flüchtlingsunterkunft in Salzwedel einübten.
Während der Pause erzählte die Lehrerin, dass sie sich mit dem Thema Flucht auch schon durch das Buch „Bestimmt wird alles gut“ von Kerstin Boie beschäftigt hatten. Sie hatte es innerhalb eines Angebotes vorgelesen. Das Buch ist in Arabisch und Deutsch geschrieben und enthält auf der letzten Seite ein paar wichtige arabische Basiswörter. Ein weiteres Buch mit sehr eindrucksvollen Illustrationen ist „Akim rennt“. Die skizzenhaften Bilder des Buches geben die Flucht und Schrecken des Krieges eindrucksvoll wieder.
Zum Schluss möchte ich auf Besonderheiten eingehen, die mir innerhalb meiner Hospitation aufgefallen sind. In der Schule gibt es ein Verbot für Mobiltelefone[1], dies gilt auch während der Pausen. In den Pausen ist es den Kindern außerdem freigestellt zu entscheiden, ob sie diese im Außenbereich oder im Klassenraum verbringen möchten. Einige Lernangebote finden auf dem Boden statt. Die Englischstunde wurde beispielsweise teilweise in einem unbestuhlten Raum durchgeführt und auch während des Matheunterrichtes hatten die Kinder die Möglichkeit auf dem Teppich zu sitzen. Durch die andere Sitzordnung gibt es mehr Bewegungsfreiheit und die Schüler können sich besser konzentrieren. Bei der Raumgestaltung fiel mir auf, dass alle Räume in einem warmen hellen gelb gestrichen sind. Die Schule hat keine Bibliothek, steht aber in einem regelmäßigen Austausch mit einem mobilen Bücherwagen, der von den Kindern oft besucht wird.
Abschließen möchte ich mit einem Zitat, welches wie ich finde, gut einen wichtigen Punkt des Freiheitsaspektes der Freien Schule Altmark wiedergibt: „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“
(Maria Montessori)


[1] Das Verbot wurde von den Pädagogen eingeführt um ein besseres Lernklima zu schaffen.

Mittwoch, 9. März 2016

Protokoll der Tagung, 18.02



HS Magdeburg –Stendal
Tagung: Ökonomisierung sozialer Arbeitsfelder – Schaffen wir das? Ja, aber zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis?
Protokollantin: Carolin Heimann

Protokoll der Tagung vom 18.02.2016

Referierender: Dipl. Pädagoge Matthias Heintz
Thema: Methoden ökonomisierter Jugendhilfe und deren Folgen für die Praxis

Matthias Heintz wies zu Beginn darauf hin, dass er selbst bis 2013, also seit 20 Jahren in der KJH (Kinder- und Jugendhilfe), tätig gewesen sei. Er führte aus, dass es für ca. 10 Jahre gute Möglichkeiten in seinem Tätigkeitsbereich gab. Ab 2003 entstand jedoch ein Wandel der KJH der große Probleme mit sich brachte. Es kam in seinem sozialpädagogischen Tätigkeitsbereich zu sehr vielen Disputen mit dem öffentlichen Träger, was 2013 schließlich zur Schließung der Erziehungsberatungsstelle durch den Öffentlichen Träger führte. Danach skizzierte er den Wandel der KJH, deren sozialpädagogisches Verständnis immer weiter in den Hintergrund rückt, während die Ökonomisierung immer zentraler wird. Die Methoden einer ökonomischen KJH, die unter einer „neuen Steuerung“ stehen, haben weitläufige Auswirkungen in der Praxis. 1989/90 kam es durch die Einführung eines neuen Jugendhilfegesetzes zu einem Paradigmenwechsel in Richtung Partizipation und Prävention. Doch mit der Agenda 2010 zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die Ökonomisierung des Sozialen fortgeführt, deren Ideengeber unter anderem die Bertelsmann Stiftung war. Die Agenda 2010 ist eine Fortführung wirtschaftsliberaler Politik und damit auch eine Verbetriebswirtschaftlichung sozialer Arbeitsfelder. Die neue Agenda brachte Wirtschaftsvokabular wie „manageralistische Steuerung“, „New Public Management“ oder „Case Management“ in die Jugendhilfe. Es erfolgte die Schaffung eines marktförmigen Umfeldes, welches diese wirtschaftlichen Ausdrücke verdeutlichen.

Im Mittelpunkt der „manageralistischen Steuerung“ und Bewertung stehen technische, leicht messbare Aspekte der Dienstleistungserbringung, soziale Regelungstechniken zur Standardisierung sozialarbeiterischen Handelns. Diese führen zu einem enormen Dokumentationsaufwand der Arbeit. Die bürokratischen Anforderungen wachsen, während die Arbeit am Menschen selbst immer weiter in den Hintergrund rückt. Der Sozialwissenschaftler Eckhart Hansen untersuchte die Ökonomisierung der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. http://www.buendnis-jugendhilfe.de/bilder/pdf/neu).

Heintz führte desweiteren aus, dass in den 90er Jahren die britische KJH durch die neue Steuerung handlungsunfähig gemacht wurde. Ende 1999 gab es Änderungen im KJHG/ SGB VIII, unter anderem die Einführung der Privatisierung im Bereich der KJH. Die Rechnung wirtschaftsliberaler Gestaltungslogik geht nach wie vor leider immer wieder auf. Menschen sollen über Steuerungsverfahren besser diszipliniert und gesteuert werden. Durch die veränderten Arbeitsbedingungen die sich durch immer höheren Zeit- und Effizienzdruck äußern, kommt es zu einem  erheblichen Anstieg von psychischen und psychosomatischen  Erkrankungen. 

Im Folgenden soll auf die Methoden und die Ökonomisierung in der Jugendhilfe auf Trägerebene eingegangen werden. Öffentliche Träger vereinbaren immer mehr Leistungsvereinbarungen, die nicht zu der Steigerung der Bedarfe im qualitativen Bereich passen. Diese werden immer anspruchsvoller und schwieriger. Um möglichst Kosteneffektiv zu bleiben erfolgen häufig Neuausschreibungen von Leistungen, diese sind jedoch rechtswidrig, aber trotzdem gelduldet. Der Verlust eines Hilfesegmentes durch Ausschreibungen kann zu einer Existenzgefährdung führen. Die ständige Kostendrückung durch öffentliche Träger, beeinträchtigt desweiteren die Netzwerkarbeit.
Die Hilfeleistungen an Klienten werden verzögert durch die Weiterverweisung in präventive Hilfen. „Präventive Hilfen“ sind unter anderem die Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit, diese sollten allerdings nur präventiv als Ergänzung dienen und keine Hauptmaßname sein, wie es oft der Fall ist. Oft wird auch das „Treppenmodell Verfahren“ genutzt in dem Klienten zuerst die kostengünstigen Hilfen bekommen. Klienten werden also nicht nach Problemlage behandelt sondern bekommen Hilfeleistungen unter ökonomischen Aspekten. Die Behandlungswege sind meistens sehr lang, oft erfolgt eine Weiterreichung ins Gesundheitswesen an Psychologen, um Kosten zu sparen. Eine weitere Methode ist das „Gießkannenprinzip“. Dies richtet sich nach einem festgelegten Etat, mit dem gehaushaltet werden muss, egal zu welchen Folgen, das führt in der Praxis beispielsweise bei der SPFH (Sozialpädagogischen Familienhilfe) zu einer drastisch verknappten Wochenstundenzahl. Daraus lässt sich ableiten, dass die fachlich vorgeschriebenen Erfordernisse einer Hilfe oft nicht gerecht werden.
Ein weiteres Problem ist die „Verehrenamtlichung“, welche durch PR Maßnahmen gefördert wird. Eigentlich sollten ehrenamtliche Hilfen nur ergänzend sein, doch immer häufiger kommt es vor das die professionelle Hilfe, z.B die SPFH ersetzt wird durch Ehrenamtlichkeit.
Im Anschluss ging Matthias Heintz auf Freie Träger ein und wie diese mit ökonomischen Strategien umgehen. Er führte aus, dass wer öffentlichen Trägern das günstigste Angebot liefert, seine Chancen auf dem Sozialen Markt verbessert. Er ergänzt, dass es immer mehr zu einer Schaffung prekärer Arbeitsplätze durch beispielsweise Honorarverträge kommt. Ab der dritten Vertragsverlängerung sollte dieser arbeitsrechtlich entfristet sein, was aber vom Arbeitgeber gerne umgangen wird. Die Finanzierung erfolgt gerne auch über Fachleistungsstunden. Weiterhin problematisch ist auch die heimliche Ehrenamtlichkeit (liegengebliebene Arbeit wird zuhause unentgeltlich erledigt).
Eine weitere Schwierigkeit ist die oft angewandte „Top-down Kommunikationsstruktur“. Bei dieser werden Weisungen von oben nach unten erteilt, also an die Fachkräfte der Basis. Während Bottom up (Beschlüsse von unten nach oben) meist gar nicht möglich ist.
Um das System der Umdeutung der sozialpädagogischen Sprache als Steuerungsprinzip der neuen Steuerung und die damit verbundenen neuen Kommunikationsstrukturen besser verstehen zu können, ist es sehr empfehlenswert das Buch „1984“ von Georg Orwell zu lesen, da dies ein Grundlagenverständnis für totalitäre gesellschaftliche Strukturen ermöglicht (dabei werden sprachliche Umdeutungen vorgenommen: z.B. „Unterwerfung“ ist „Freiheit“, „Krieg“ ist „Frieden“ usw.).
Die Menschen werden im neuen System immer mehr zu „Kunden“ der Sozialwirtschaft „Controlling“, „Passgenauigkeit“ der Hilfen werden dabei zu Zwangsjacken bei einer kritischen Auseinandersetzung. Die Auswirkungen auf die KJH auf Fachkraftsebene sind chronische Zeitknappheit und dadurch bedingter Dauerstress. Die Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust und der materiellen Not sind ständige Begleiter. Zusätzlich tritt die Schwierigkeit der Bewältigung immer größerer Fallzahlen auf, wodurch immer größerer Druck entsteht, der auch an die Klienten weitergegeben wird. Ein großes Problem ist auch der deutliche Anstieg fachfremder Tätigkeiten, insbesondere der Verwaltungsarbeit (Dokumentation der Arbeit).
Die Folgen für Adressantinnen, auf Klientenebene sind verkürzte, oberflächliche Hilfen in Rezeptform (in Form von Ratschlägen), statt des Gestaltens eines nachhaltigen Beziehungsprozesses. Es gibt nur oberflächliche Anpassungsverfahren, statt vertrauensvoller Kooperation und einem Beziehungserleben. Schlussendlich lässt sich feststellen, dass die Ökonomisierung erhebliche Auswirkungen auf die Praxis hat. Es entsteht immer mehr eine Aushöhlung und Entstellung einer subjektorientierten Kinder- und Jugendhilfe durch die zunehmende Ökonomisierung, dies hat drastische Folgen. Die andauernde chronische Überlastung verkürzter Hilfen führt zu erschöpften, selbstentwerteten, frustrierten Fachkräften an der Basis! Junge Menschen und Familien mutieren in dieser ungesteuerten Logik zum Warengut eines Kinder- und Jugendhilfemarktes. Es lässt sich abschließend feststellen, dass eine prozessorientierte Beziehungsgestaltende Sozialpädagogik so nicht mehr umsetzbar ist.

Referierende: Prof. Dr. Mechthild Seithe
Thema: Wie kann sich eine kritische Sozialarbeiterin auf die neoliberale Praxis vorbereiten?

Im vorigen Vortrag wurden die Folgen der neoliberalen Transformation der Gesellschaft und insbesondere der Sozialen Arbeit und ihrer Praxis dargestellt und es wurde deutlich gemacht, wie weit sich die transformierte Soziale Arbeit entfernt und abgewendet hat von einer Sozialen Arbeit, die den Menschen zugewandt ist, wie sie sich z.B. noch im geltenden KJHG bzw. SGB VIII darstellt.
Die Neoliberalisierung des Sozialen und der Gesellschaft ist kein Modetrend und auch nicht einfach nur der Einbruch der Technifizierung in alle Lebensbereiche, es ist eine wirtschaftliche und ideologische grundlegende Gesellschaftskonzeption, die auf eine politische Entscheidung derjenigen zurückgeht, die von dieser Entwicklung profitieren und die nun alles tun, diese Entscheidung als unumstößlich, zwingend und selbstverständlich darzustellen. So formuliert z.B. auch Thiersch: „Es wird suggeriert, es sei, wie es sei, es könne nicht anders sein, dies sei das Gesetz der Geschichte. Die globalisierte Ökonomie ließe keine Wahl, es sei ein Naturgesetz, dem man sich nicht verwehren könne“ (Thiersch 2013).

Die Aufgabe einer „kritischen Sozialen Arbeit“ zeigt sich vor allem
im Bemühen um die Formulierung und Realisierung von Perspektiven einer anderen, veränderten Sozialen Arbeit. 

Der entscheidende Punkt ist, dass kritische Soziale Arbeit sich nicht  arrangiert, sich nicht auf subversiven Widerstand beschränkt und nicht versucht, das Ganze auszusitzen (wie es leider z.B. schon der 11. Jugendbericht vormachte).
Vielmehr müssen die grundlegenden Unvereinbarkeiten eines „Sozialen Marktes“ mit den Zielen und Aufgaben der Profession Soziale Arbeit  unmissverständlich klar gemacht werden. 

Und es geht darum, Konflikte eben nicht zu vermeiden.
Auch wenn es z.B. gerade für Sozialarbeitende in der Praxis sehr schwierig scheint, sich zu wehren, auf anderen Bedingungen zu bestehen und mit dem Finger auf Missstände und Ungerechtigkeiten und auf Gesetzesverletzungen zu zeigen – kritisch denkende SozialarbeiterInnen können sich nicht hinter diesen Schwierigkeiten verstecken. 

Die Geschichte der Sozialen Arbeit, also der ehemaligen Fürsorge, lehrt, dass Soziale Arbeit – wenn sie sich nicht wehrt – u.U. vollständig in gesellschaftliche Verbrechen hineingezogen werden kann. Auch die KollegInnen im Faschismus haben sich mehrheitlich angepasst, haben sich damit beruhigt, dass sie ja nicht wirklich entscheiden können, dass sie ja schließlich ihre Familie ernähren müssen, dass alles vielleicht ja doch gar nicht so schlimm ist, wie es aussieht usw.

Welche Strategien der Gegenwehr sind generell und auch für Studierende möglich und sinnvoll?


Es gibt unterschiedliche Arten und Ebenen von widerständigem Verhalten und Gegenwehr.
Sie können, je nach der Rolle und der Stellung desjenigen, der Widerstand leisten will, unterschiedlich realisiert werden und sich unterschiedlicher Methoden und Taktiken bedienen.

Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung


Zunächst möchte ich das nennen, was man als kritische Öffentlichkeitsarbeit bezeichnet könnte.
Es geht darum, aufzuklären, die Realität zu entlarven und Missstände, Skandale und Unzumutbarkeiten öffentlich bekannt zu machen. Wir sollten zum einen aufklären
·         über die Lebenslage unserer AdressatInnen,
·         zum anderen über die Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse in der Sozialen Arbeit selbst sowie
·         über die gesellschaftlichen Hintergründe.
Egal ob als WissenschaftlerIn, als Praktikerin oder auch als Studentin- es gibt hier viele Möglichkeiten:
o   Man kann im Schutz einer Organisation oder Gruppe Leserbriefe schreiben und darin die problematischen Praktiken sozialer Einrichtungen schildern.
·         Die neuen Kommunikationsmedien stellen hier eine große Chance dar.
·         Aktionen, konventionelle oder auch unkonventionelle sind auch heute immer noch sinnvoll. Es steht hier die gesamte Palette der erprobten und auch neuer, kreativer Aktionsformen zur Verfügung: von Mahnwachen, Demos und Spektakeln über Tagungen und alternative Veranstaltungen bis zu Straßentheater, und anderen sichtbaren Formen von Aktionen, die bei der Öffentlichkeit und der Presse Aufmerksamkeit erregen.

Man kann aber auch - ganz einfach - mit anderen Menschen über diese Themen reden und sie informieren. Auch das ist schon Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehören z.B. auch schon Gespräche mit Freunden, bei denen sich SozialarbeiterInnen einmal nicht scheuen, über die eigene Arbeit und über die Lage in der Sozialen Arbeit zu reden.




Einmischen in den politischen Diskurs


Ein weiterer ganz allgemeiner, aber durchaus konkret umsetzbarer Ansatz von politischem Widerstand (der oft mit der Aufklärung auch zusammengeht) ist es, sich in den öffentlichen Diskurs zu sozialpolitischen Fragen einzumischen.
Fast täglich passiert in unseren Kommunen, an unseren Arbeitsplätzen, in unserer Stadt, unserer Hochschule und auch in den Bundesländern, in Deutschland und in der globalen Welt etwas, was dringend der Stellungnahme unserer Profession bedarf. Wir sind die Experten für das Soziale und wir sind parteilich für die Menschen, die unsere neoliberal geprägte Gesellschaft meint verachten zu können. Und wir haben etwas zu sagen!
Wir sollten dies deutlich machen, indem wir zu Vorgängen, Beschlüssen, Entscheidungen, Vorfällen etc. nicht schweigen, sondern laut und deutlich sagen, was davon aus unserer Sicht zu halten ist.
Wir können in Seminaren politische Diskussionen anregen, als Gruppe Positionspapiere schreiben und ins Netz stellen, wir könnten z.B. auch eine alljährliche Preisverleihung für den „Mitarbeiter feindlichsten Träger“ oder den Studenten feindlichsten – oder auch den Studenten freundlichsten Prof ins Leben rufen.

Wichtig ist, dass wir aufhören uns und unsere Meinung zu verstecken, für uns zu behalten oder gleichgültig zu werden gegenüber den Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft und den Schicksalen sozial benachteiligter Menschen.

Praxisbezogener Widerstand

Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen man im eigenen Arbeits- oder auch Studentenalltag ganz konkret Widerstand im fachlichen Kontext leisten kann.

Einsatz für eine gute und anspruchsvolle Fachlichkeit

In der gegenwärtigen Praxis werdet ihr ständig mit fachlichen Zumutungen konfrontiert, die meist ihre Ursache in den neoliberalen Strukturen haben, z.B. mit
o   unzureichenden Zeitkontingenten,
o   mangelnder Kontinuität der Arbeit,
o   der Festschreibung der Methoden,
o   der Festlegung von Zielen u.ä.,
o   der Anwendung von Sanktionen und Druck,
o   dem Einsatz fachlich nicht zu begründender Kontrolle,
o   mit der Ablehnung von Anträgen aus fiskalischen Gründen,
o   mit Fehlentscheidungen aus fiskalischen Gründen,
o   mit Unterbesetzungen etc.
Der Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen, für die Anerkennung der fachlichen Autonomie der Sozialen Arbeit, für Beziehungsarbeit oder auch für die Einbeziehung der gesellschaftlichen Hintergründe in die Arbeit sind nicht nur Forderungen im eigenen professionellen Interesse.
Sie sind gleichzeitig auch ein Kampf dafür, dass unsere Klientel die Unterstützung bekommen kann, die sie braucht und die ihr z.T. sogar per Gesetz zusteht.
Beispiel Prof aus der Schweiz…..
Es ist heute schon ein politischer Widerstandsakt, für eine fachlich gute, nicht neosoziale Soziale Arbeit einzustehen.

        Bestehen auf Parteilichkeit

Widerstand zeigt sich darin, dass man sich weigert,  an einer am Arbeitsplatz oder in Analogie im Studienkontext üblichen und oft sogar erwünschten verbale und faktischen Abwertung sozial benachteiligter Menschen mitzuwirken. JugendamtleiterInnen, die von Assis sprechen, ProfessorInnen, die abfällig von der Klientel der Sozialen Arbeit sprechen. Es reicht dann nicht, selbst gegenüber der unseren AdressatInnen parteilich und wertschätzend zu sein.
Unsere parteiliche, wertschätzende Haltung sollten wir offensiv zeigen. Wichtig, dass wir auch von unseren KommilitonInnen und PraxisanleiterInnen oder von unsern ProfessorInnen einfordern, dass sie von der Klientel der Sozialen Arbeit mit Respekt und Wertschätzung sprechen.

Es gibt noch andere Ebenen von Widerstand, aber ich belasse es erst mal dabei…
Ganz generell gilt:
Wir werden mit unserem Widerstand die gegenwärtige Entwicklung nicht von heute auf morgen stoppen, aber wir werden sie öffentlich infrage stellen und damit eine Alternative in den Raum stellen. Wir brauchen Veränderungen im Kleinen, die auf die großen Ziele verweisen.
Rosa Luxemburg spricht hier von revolutionärer Real-Politik. Es geht darum, dass der „Knoten der Herrschaft nicht weiter festgezurrt“ wird.
Das heißt, Widerstand ist immer sinnvoll, auch dann, wenn er zunächst nicht erfolgreich ist.


Was braucht man, um solchen Widerstand wirklich leisten zu können?


Das hört sich sicher jetzt sehr anspruchsvoll und schwierig an.
Zugegeben, es wird nicht leicht sein, mit den neoliberalen angeblichen Selbstverständlichkeiten angemessen umzugehen.
Was braucht man als BerufsanfängerIn an Kompetenzen und Haltungen, damit man nicht geschluckt wird oder sich notgedrungen anpasst, damit man in der Lage ist, Widerstand zu leisten und sich zu wehren?

Qualifizierte fachliche Ausbildung und Kompetenz


Eine Soziale Arbeit, die sich zur Aufgabe macht, die neoliberalen Strukturen in ihren Arbeitsfeldern aufzubrechen und zurückzudrängen,  muss als selbstbewusste und autonome Profession auftreten können, muss sich dieser Profession in ihren Kernstrukturen bewusst sein und ein hohes fachliches Niveau vorweisen können.
Wenn SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen sich ihrer professionellen Aufgaben, Zielsetzungen und der methodischen Handlungsorientierung sicher sind, haben sie eine solide Grundlage für für eine  - wie Galuske sagt -: „alltägliche Thematisierung und Skandalisierung der Folgen neoliberaler Spar-und Kontrollpolitik und des folgenreichen Glaubens, „die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie Daimler-Crysler“ (Galuske 2008, S. 25).

 

1.a Gute fachlichen Qualifikation

Man braucht eine gute fachliche Ausbildung, die nicht nur in die Lage versetzt, gute Soziale Arbeit zu machen, sondern auch, notwendige Bedingungen für gute Soziale Arbeit benennen und begründen zu können. 
Die Aneignung der wissenschaftlichen Hintergründe, der sozialarbeiterischen Handlungsweisen, das Einüben in Reflexivität, das deduktive wie das hermeneutische Denken sind für eine kritische Studierende unbedingt erforderlich, damit sie später in der Praxis darauf zurückgreifen kann und sich nicht dazu verführen lässt, einfach nach Vorlage und Anweisung zu arbeiten, wie es die neoliberale Praxis meisten erwartet.
Für SozialarbeiterInnen muss es selbstverständlich sein, die eigenen Handlungen und Entscheidungen sowohl fachlich wie auch ethisch begründen zu können und dabei auch unterschiedliche Perspektiven zu überblicken.
Und sie sollte in der Lage sein, nach außen vermitteln zu können, was sie im Rahmen ihrer konkreten Arbeit als Soziale Arbeiterin für Aufgaben hat, was sie tut, warum sie es so macht, welche Bedingungen sie für ein solches Handeln braucht und welche Folgen es haben wird, wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind.

1.b Fundierte Kenntnissen über die neoliberalen Transformationsprozesse und ihre Folgen

Die Kenntnis der neoliberalen Transformation mit ihren politischen Hintergründen, ihren fachlichen „Konzepten“ und ihren praktischen Konsequenzen ist unabdingbar.
Wer sich hier nicht gut auskennt, wird später nicht argumentieren können und scheitern. Die Kenntnis dieser Inhalte ist notwendig, damit man weiß, was passiert und warum es passiert. Das aber ist eine Voraussetzung dafür, dass man sich gegen Zumutungen fachlicher oder ethischer Art wehren kann und dagegen argumentieren kann.
All das, was mein Kollege Matthias Heintz vorhin hier erzählt hat, das sollten Sie sich intensiv aneignen.

1.d Und schließlich:
Diese beiden Aspekte, also die Aneignung der Sozialen Arbeit einerseits und die Kenntnis der neoliberalen Transformationsstrukturen dürfen nicht nebeneinander stehen bleiben. Es muss eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Widersprüchen führen.
Erst das ermöglicht es, dass man die neoliberalen Strukturen durchschaut und mit ihnen kritisch und widerständig umgehen kann.

Ethische und fachliche Haltungen und Werte

Eine gute fachliche Qualifikation und die Fähigkeit, neoliberal gesteuerte Prozesse zu erkennen und zu analysieren allein reichen aber nicht aus.
Soziale Arbeit hat auch sehr viel mit Haltungen zu tun.
Hinzu kommt also die Notwendigkeit, bestimmte fachliche Haltungen und Positionen sowie ethische Perspektiven Sozialer Arbeit (eben nicht im nicht neoliberalen Verständnis)  im Rahmen des Studiums (wie natürlich auch später weiter in der Praxis) anzueignen, zu internalisieren und zu lernen, sie konkret in praktisches Handeln umzusetzen, als da z.B. sind
·         Respekt gegenüber der Klientel,
·         transparente Kommunikation,
·         motivierende Kommunikation,
·         Parteilichkeit,
·         Bereitschaft zur Aushandlung etc..
Untersuchungen zeigen, dass unter Sozialarbeiterinnen heute leider Haltungen bestehen, sich deutlich von den oben genannten Haltungen unterscheiden. Timm Kunstreich führte in diesem Zusammenhang den Begriff Sozialrassismus ein und meint damit eine Haltung, die Menschen auf grund ihres niedrigen sozialen Status verachtet und ausgrenzt. Diese Haltung gibt es längst auch bei vielen SozialarbeiterInnen.
Nur ein Beispiel:
Ingo Zimmermann hat in einer Befragung von 221 Studierenden der Sozialen Arbeit und 89 PraktikerInnen festgestellt, dass in beiden Gruppen beinah die Hälfte z. B. der Meinung ist, dass Menschen, die Sozialleistungen wie ALG II beziehen, mit Kürzungen der Leistungen bestraft werden sollen, wenn sie nicht jede verfügbare Arbeit annehmen.
Das aber heißt:
Die Auseinandersetzung mit Kollegen oder Vorgesetzen, die die ethischen Haltungen unserer Profession nicht teilen oder sogar als negativ, überholt, romantisch bewerten, kommt unausweichlich auf jede BerufsanfängerIn zu, will sie sich nicht anpassen und ihr fachliches und ethisches Gewissen betrügen.
Wer diese Haltungen nicht wirklich angeeignet und in sein Werterepertoire übernommen hat, wird es möglicherweise nicht einmal merken, wenn von ihm plötzlich menschenverachtende oder zumindest Menschen nicht achtende Haltungen und Verhaltensweisen abverlangt werden.
Die Aneignung dieser sozialpädagogischen Haltungen, die einem humanistischen Menschenbild verpflichtet sind, geht nicht so zwischendurch und nebenbei sondern erfordert selbstkritische Übung und eine ehrliche positive innere Positionierung zu diesen Haltungen.


Kämpferische, widerständige Haltung


Sozialarbeit braucht nicht nur eine kritische, sondern zugleich auch eine kämpferische Haltung gegenüber den vorzufinden Praxisbedingungen.
Eine Kritik der Sozialen Arbeit, die dabei stehen bleibt, die systemerhaltende Tendenz und die Abhängigkeiten der Sozialen Arbeit vom herrschenden politischen System zu entlarven, bleibt in ihrer Kritik abstrakt, ist nicht in der Lage der Praxis und den Menschen gerecht zu werden und ist damit für die politische Orientierung der Praxis Sozialer Arbeit weitgehend nutzlos. Es geht genauso darum, konkrete Veränderungen zu erkämpfen, sich in reale Auseinandersetzungen zu begeben und Widerstand zu leisten.
Im Folgenden werde ich einige Aspekte einer solchen kämpferischen Haltung erläutern:

3.a Zur Kenntnis nehmen der unterschiedlichen Interessen

Widerständig sein fängt damit an, dass man bereit ist, bestehende Interessengegensätze zu sehen und ernst zu nehmen.
Viele glauben, dass sie bessere Verhältnisse für ihre Arbeit durchsetzen könnten, wenn es ihnen gelänge, z.B. die Politikerinnen ausführlich zu informieren und aufzuklären über das, was Soziale Arbeit eigentlich ist und kann. Man hofft auf das Verständnis und den guten Willen der Politik.
Man sollte sich generell nicht der Illusion hingeben, man könnte in der gegenwärtigen ideologischen Lage mit Erfolg bei Politik und Verwaltung um Verständnis für sozialpädagogische, humanistische Anliegen werben.
Es geht nicht um mangelnde Informationen dieser Protagonisten, sondern um gegensätzliche Interessenlagen, in die z.B. auch Verwaltung eingebunden ist. Die Behebung von Informationsmangel oder falscher Information wird diese Interessenlagen nicht verändern können.
Als kritische SozialarbeiterIn braucht man die Bereitschaft und den Mut, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass es sich hier um tatsächliche Interessenkonflikte handelt:
·         Der herrschenden Politik, der sie weitgehend steuernden Wirtschaft und der konkreten neoliberale Sozialpolitik geht es gezielt um das Sparen an den Kosten des Sozialen und darum, ein neoliberales Menschenbild durchsetzen, das durch Entwertung und Exklusion die Ausbeutung der Menschen weiter erleichtert.

Und wenn Politikerinnen das nicht explizit so wollen oder es ihnen nicht bewusst ist, so dulden sie es immerhin. 

·         Die kritische Soziale Arbeit dagegen will die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und etwas tun gegen die massiven Kollateralschäden eines entfesselten Kapitalismus.
Aber viele KommilitonInnen und KollegInnen lehnen es ab, diese Interessenkonflikte zu benennen oder überhaupt zu sehen. Sie wehren sich dagegen, dass man angeblich Feindbilder aufbaut („die da oben“, „der Chef“…). Sie wollen sich nicht so hart erleben, sondern menschlich bleiben.
Dazu muss angemerkt werden:
Wenn ich in diesem Zusammenhang von „den anderen“ rede, dann sind „die anderen“ nicht der ASD Mitarbeiter, der Jugendamtsleiter und auch nicht der Sozialdezernent, denn die bekommen ihre Weisungen ebenfalls „von oben“. Es geht nicht um das Schaffen von Feindbildern und nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um die klare und unverschleierte Feststellung, dass in unserer Gesellschaft massive Interessengegensätze bestehen und dass diejenigen in Wirtschaft und Politik, die die Macht haben, keine Soziale Arbeit mehr haben wollen, die wirklich im Interesse der Menschen handelt.

3.b Klare Haltung entwickeln und nicht beirren lassen

Zum zweiten gilt es, - erst mal für sich selbst und im zweiten Schritt dann auch nach außen -  eine klare, kritische Position zu beziehen und immer wieder zu erneuern und sie sich gerade im konkreten Fall vor Augen führen. So kann es aus unserer fachlichen und politischen Sicht keine Akzeptanz für die Dominanz der Verwaltung und des betriebswirtschaftlichen Denkens in der Sozialen Arbeit geben, grundsätzlich nicht. Was nicht heißt, dass Sie unter solchen Bedingungen gar nicht mehr arbeiten dürften. Aber der Widerspruch muss klar sein und permanent klar sein.
Es geht darum, als Person und als Gruppe eine andere Haltung zu entwickeln, diese hochzuhalten und gegenüber den Zumutungen des Neoliberalen in unserer Profession aktiv und deutlich zu vertreten.

Lassen Sie sich nicht als Nörgler oder „Jammerlappen“ abspeisen. Wo etwas stinkt, muss das laut gesagt werden.

3.c Konflikte durchstehen, nicht meiden

Widerstand bedeutet, Konflikte durchzustehen, ihnen nicht aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich sind die erforderlichen Veränderungen nicht ohne Einsatz und nicht ohne die Bereitschaft zu haben, die real bestehenden Konflikte offen anzugehen und sie nicht durch faule Kompromisse unter den Teppich zu kehren.
Wer davor zurückscheut, wird sich mit kleinen Reformen zufrieden geben und dazu beitragen, dass letztlich alles so weiter geht bzw. noch fester verankert wird.

3.d Widerstand zum persönliches Anliegen machen

Und schließlich sei noch auf folgende Tatsache hingewiesen:
Widerstand gelingt nur dann, wenn man ihn als persönliches und existentiell wichtiges Anliegen für sich selbst akzeptiert hat und erlebt. Es geht eben nicht um ein bisschen Aufbegehren und ein bisschen Reform und Verbesserungen, sondern um existentielle Fragen dieser Gesellschaft und des Lebens in dieser Gesellschaft.
Ohne persönlichen Mut und die Bereitschaft, sich zu engagieren, auch Risiken einzugehen und private Zeit zu investieren, wird es nicht gelingen, wirklich Widerstand zu leisten.

3.e  Im Übrigen gehören auch Geduld und Ausdauer zu diesen erforderlichen Einstellungen.
Ein Vorbild für subjektorientierte Sozialarbeitsvarianten ist Hans Thiersch, welcher auch als Vater der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit bezeichnet wird. Die Lebensweltorientierung sollte vordergründig sein.

BündnispartnerInnen und Gruppenstrukturen

Und schließlich, auch das gehört zu den Voraussetzungen für eine kämpferische, widerständige Grundhaltung:
Für einen gelingenden Widerstand braucht man – neben den oben schon dargestellten persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Haltungen vor alles eins:
Sozialarbeitende benötigen für ihren Widerstand die Solidarität der Gleichgesinnten und ggf. den Schutz und die Unterstützung einer starken Interessenvertretung und Organisation.

In jedem Fall ist es sinnvoll und notwendig, gemeinsam zu handeln. Man sollte nicht versuchen, sinnlose Einzelkämpfe zu führen.
Das gilt in der späteren Praxis, aber es gilt auch schon im Studium: wichtig ist es, an einer aktiven, qualifizierten Gruppe von SozialarbeiterInnen oder Studierenden der Sozialen Arbeit aktiv teilzunehmen,
·         dort  gemeinsame Strategien zu entwickeln,
·         zu diskutieren,
·         sich gegenseitig dabei zu helfen, Fragen und Probleme zu lösen und
·         von dieser Gruppe ganz konkret emotionale und praktische und auch politische Unterstützung zu erfahren.

Das können spontane Gruppen sein, kritische Arbeitsgruppen wie der AKS, Aktionsgemeinschaften, Kollegengruppen, regionale Untergruppen von Gewerkschaften oder vom Berufsverband. Wichtig ist, dass man – über eine Mitgliedschaft hinaus – selber aktiv in einem Gruppenzusammenhang tätig ist.

Noch ein Tipp:
Man muss als Gruppe aufpassen, dass man es vor lauter Aktionen, nicht versäumt, auch als Gruppe emotional und im Geiste zusammen zu wachsen.
Wichtig sind z.B. für diese Gruppen auch Treffen bei denen die eigene politische Bildung und Diskussion im Vordergrund steht. Man kann sich hierfür auch Leute von außen einladen, die von ihren Erfahrungen berichten oder theoretische Überlegungen vorstellen.
Deshalb ist es auch sinnvoll, gemeinsame Freizeitaktivitäten oder gemeinsame Tagungsbesuche etc. zu unternehmen.
Politische Arbeit muss auch Spaß machen und die Bedürfnisse nach Zusammenhalt befriedigen.

Wie kann man sich diese Kompetenzen und Haltungen aneignen?


Nun stellt sich die Frage, wie man diese Voraussetzungen erwerben kann und welche Instanzen dabei helfen.
Viele dieser Haltungen und Kompetenzen entwickeln und verfeinern sich im Verlaufe der Auseinandersetzungen von selbst.
Aber viel kann und sollte man im Vorfeld tun.

Da stellt sich zum einen die Frage: Was könnte die Hochschule zu dieser Vorbereitung tun?
Aber ebenso sollten Sie sich fragen: was können Sie selbst aus eigenem Antrieb machen.
Auf beides will ich am Ende meiner Ausführungen noch eingehen.

 

Anteil der Hochschulen an der Entwicklung kritischer SozialarbeiterInnen zu handlungsfähigen Akteuren in der Praxis


Oft, und ich denke zu Recht, werden die Hochschulen dafür verantwortlich gemacht, dass Studierende, wenn sie auf die wirkliche Praxis treffen, sich widerstandlos anpassen. Auch ich denke, dass die Hochschulen hier eine wichtige Rolle spielen.
Für die Hochschulen ist die Vermittlung von Fachlichkeit die zentrale Aufgabe. Entsprechend stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass Studierende eine solche Fachlichkeit aneignen und für sich selbst ausbilden können.
o   Zum einen sollte das Studium den Studierenden ermöglichen, sich ausreichend mit der Frage, was Soziale Arbeit ist, auseinanderzusetzen. Dafür reicht es nicht, dass sie unterschiedliche Theorien und Ansätze kennen und wiedergeben können. Die Studiernden müssen dazu befähigt werden, ein eigenes Bild von Sozialer Arbeit zu entwickeln.
Soziale Arbeit ist 
nicht bloß als Summe der einzelnen Wissenschaftsbestände der Bezugswissenschaften zu sehen, sondern in ihrem ganzheitlichen Kern sowie mit ihren  wissenschaftlichen, ethischen und parteilich-politischen Facetten zu begreifen.
o   Hochschulen müssen ihren Studierenden sowohl die Kenntnis der Sozialen Arbeit, ihrer Wissensbestände und Haltungen vermitteln als auch eine gute Kenntnis in Fragen der Transformation der Sozialen Arbeit, wie sie später in der Praxis vorgefunden wird.
o   Vor allem aber gilt es, die sich aus diesen beiden Bereichen ergebenden Widersprüche intensiv zu bearbeiten.
o   Dazu gehört z.B. auch, dass im Studium die gegenwärtige Praxis ein zentrales Thema dieser Auseinandersetzung sein muss. Es gilt, sich mit der gegenwärtigen Praxislage vertraut zu machen, die vorhandenen Problemlagen kennen zu lernen und sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob diese Praxis den eigenen Erwartungen entspricht und wie und ob man versuchen kann, auf die gängige Praxis einen Einfluss zu nehmen.
Im Studium selbst betrifft dieser Punkt vor allem auch die Reflexion von Praxis.
Das würde z.B. bedeuten:
o   fachliche Entscheidungen der Praxis, mit denen man in der Reflexion konfrontiert wird, knallhart auf ihre Fachlichkeit und auf die dabei gezeigte ethische Haltung hin zu prüfen,
o   an die Fachlichkeit Ansprüche zu stellen und sich nicht mit Billigvarianten zufrieden zu geben.
o   Die gezeigten Haltungen der Professionellen im konkreten Fall zu prüfen und Alternativen anzueignen
o   Beispiel Seminar……

Des Weiteren darf sich Praxisreflektion nicht auf die rein fachliche Fragen beschränken, sie muss sich mit den gegebenen Hintergründen und Bedingungen für die Fachlichkeit und die dort ablaufenden fachlichen Prozesse auseinandersetzen.
So gilt es z.B. fachlich nicht zumutbare Zustände und Herausforderungen offen aufzudecken und sich dann im Praktikum z.B. zu weigern, aktiv daran mitzuwirken (Das für diesen Widerstandweg eine gute, reflektierte und selbstbewusste Fachlichkeit Voraussetzung ist, soll erwähnt aber hier nicht weiter vertieft werden).

Aber auch fachliche Expertise und Reflexivität reichen noch lange nicht aus, will man sich später als fachlich kompetenter und engagierter, sich politisch begreifender Sozialarbeitender behaupten.

Die Hochschule hätte aber prinzipiell noch viele weitere Möglichkeiten.
Sie könnte deutlich mehr leisten als eine gute fachliche Ausbildung:
o   Sie müsste den Studierenden auch die Erfahrung vermitteln und die Einsicht für sie erlebbar machen, dass man sich wohler fühlt, wenn man zu Problemlagen und Zumutungen eine offensive, aktive, mutige Haltung einnimmt, als wenn man sich duckt und versucht, alles einfach irgendwie auszuhalten.
o   Das bedeutet, dass Studierende in ihrem Studium gemeinsam erste Erfahrungen mit störrischem Bestehen auf Fachlichkeit, mit Öffentlichkeitsarbeit und Einmischungsstrategien machen können sollten.
o   Es ist unbedingt notwendig, den Betroffenen konkrete Erfahrungen mit Solidarität und mit gemeinsamem, auch politischem Handeln zu ermöglichen. Das kann z.B. in den oben erwähnten fach-und/oder sozialpolitisch engagierten Projekten erfolgen.
Neben der Vermittlung der Bereitschaft zu Gegenwehr und offensiver Einmischung, ist es auch Sache der Hochschule, dazu beizutragen, dass bei den Studierenden die heute verbreitete Haltung: „Jeder sorgt heute eher für sich allein“, aufgebrochen wird.

Aber auch in der Organisation des Studiums sollte man deshalb bewusst Elemente einbauen, die für die Studierenden die Lernchance für die Erfahrung eröffnen, dass gemeinsames Handeln weiter bringt und dass Solidarität sich für alle auszahlt.
Das würde voraussetzen, dass Hochschule auch selbstkritisch darauf schaut, wo der eigene Studiengang selbst zu einer Entsolidarisierung der Studierenden beiträgt und dann konsequente Änderungen einleiten.


Möglichkeiten der Selbstqualifizierung kritischer Studierender mit Blick auf eine sie erwartende neoliberale Berufspraxis


Selbst wenn die Hochschule vieles bietet und Sie dabei unterstützt, ein kritisches Verständnis der gegenwärtige Lage zu entwickeln - man kann und muss auch als Studierende selbst aktiv werden.
o   Für sich kritisch verstehende Studierende ist es zum einen eine geradezu politische Aufgabe, sich fachlich zu qualifizieren, sich theoretisches und praxisorientiertes Wissen anzueignen, sich mit den Widersprüchen zwischen Sozialer Arbeit und neoliberaler Praxis auseinander zu setzen und vor allem, ein souveränes Selbstverständnis als Sozialarbeitende zu entwickeln und sich eine eigenes sozialarbeiterisches Konzept zu erarbeiten und anzueignen.

o   Des Weiteren muss man selbst etwas dafür tun, dass man sich erforderliche, eben auch widerständige Haltungen aneignet und konkrete Erfahrungen damit macht, wie man sich gegen neoliberale Zumutungen verhalten kann und Strategien für eine gelingende und erfolgreiche Gegenwehr entwickelt.

Das geht am besten in einer Gruppe von Gleichgesinnten, mit denen man solche Lernprozesse gemeinsam durchläuft. Das macht Spaß braucht aber natürlich auch Zeit. Die muss man sich nehmen, wenn man es ernst meint.
Nun zwei Beispiele:
1.    Was kann eine Gruppe kritischer Studierender z.B. in Sachen Öffentlichkeitsarbeit oder Einmischen in den politischen Diskurs auf die Beine stellen?
·         Ich kenne Gruppen, die mit viel Erfolg öffentliche Diskussionsveranstaltungen durchführen. Diese müssen inhaltlich und vom Vorgehen her gut vorbereitet und möglichst über andere Medien (z.B. Webseite der Gruppe) interessant aufgearbeitet werden. Solche Veranstaltungen führen oft auch dazu, dass neue Leute zur Gruppe stoßen.
·         Eine  kritische Gruppe kann sich dazu entschließen, gemeinsam einen Text zu schreiben, z.B. Information zur Lage in Flüchtlingsheimen, die man als Praktikantin erfahren hat. Sie kann einen Blog betreiben (s. einmischen). Das bedeutet alles ist Öffentlichkeitsarbeit.
·         Der springende Punkt ist bei so etwas, ob es gelingt, mit diesen Veröffentlichungen dann Politik auch zu machen (z.B. einen solchen Text im Seminar diskutieren, als Grundlage für Flugblätter nehmen, als Grundlagenmaterial für eine Diskussionsveranstaltung etc.)

2.    Wie kann eine Gruppe sich gegenseitig helfen beim Erwerb von Kenntnissen, Haltungen und Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit den neoliberalen Tendenzen in der Praxis?

Ich möchte am Ende meiner Ausführungen an einem konkreten Beispiel zeigen, wie man vorgehen könnte und was alles man auf diese Weise probieren und versuchen, erlernen, üben, erarbeiten und festigen, kann.
Es gibt ein Buch, in dem 60 PraktikerInnen kritisch über ihre Arbeitssituation berichten. Dabei werden viele Probleme deutlich: Fachlich unzureichendes Handeln, Spardiktate die Effizienz vor Fachlichkeit stellen, entwertender Umgang mit Menschen, oberflächliche Hilfe aus Kostengründen, Arbeitsüberlastung und Verbot, selbst zu denken und vieles mehr.
Diese Situationen werden jeweils von der Person geschildert, die sie erlebt hat und die versucht hat, damit umzugehen. Das sind typische, zum Teil sehr kritisch zu bewertende Situationen und ihre „Lösungen“ sind keineswegs idealtypisch. Vieles wäre zu verbessern.
Mit diesen Geschichten ließe sich fantastisch arbeiten.
Man könnte in der gemeinsamen Diskussion die Situation analysieren:
Die Gruppe könnte zu folgenden Fragestellungen arbeiten:
·         Wie ist die hier geleistete fachliche Arbeit einzuschätzen -  und warum? Gäbe es Alternativen? Was hätte man besser machen können?
Lerneffekte:
o   Bewusstwerden der eigentlichen Möglichkeiten Sozialer Arbeit, ihrer Aufgaben und der notwendigen Rahmenbedingungen.
o   Erlernen, Üben eines bewussten und diskursiven Umgangs mit der eigenen Fachlichkeit.
o   Begründen von fachlichem Verhalten,
o   Üben der fachlichen der Argumentation.

·         Welche Rahmenbedingungen und methodischen wie organisatorischen Vorgaben sind hier als problematisch anzusehen? Wodurch sind diese Probleme entstanden? Welche Bedingungen würden eigentlich gebraucht?
Lerneffekte:
o   Analysieren der schädlichen und ungünstigen Rahmenbedingungen,
o   Analysieren der Hintergründe und politischen Absichten,
o   Identifizieren der neoliberalen Merkmale Sozialer Arbeit wie Verbot von Parteilichkeit, Technifizierung, Deprofessionalisierung, Verweigerung von Unterstützung etc.

·         Welche Möglichkeiten eines widerständigen Denkens und Verhaltens klingen in diesem Bespiel an? Welche Lösungen wären denkbar? Welche Schritte könnte man gehen?
Lerneffekte: 
o   Erweiterung des Lösungsspektrums,
o   Rollenspiel von schwierigen Gesprächen (mit Vorgesetzen, Team),
o   Erfahren der Situation fsür sich selbst im Rahmen der Methode der Aufstellung
o   Entwicklung kreativer Ideen,
o   Entwicklung von Strategien, von Aktionsplänen usw.
Gleiches kann man natürlich mit jeder beliebigen konkreten Praxissituation, mit jedem Fallverlauf, mit jedem Konflikt im Team oder mit den Vorgesetzten machen, die eines der Gruppenmitglieder aus eigener Erfahrung einbringt. Die aufgeschriebenen Geschichten haben den Vorteil, dass hier die Frage der Schweigepflicht nicht entsteht und alle die gleiche Informationsgrundlage für die Bearbeitung haben.
Das wäre z.B. eine ganz konkrete Antwort auf die Frage:
Wie kann sich eine kritische Sozialarbeiterin auf die neoliberale Praxis vorbereiten.
Abschließende Diskussion
Wie kann ich mich noch besser über neoliberale Auswirkungen informieren? Wie kann ich etwas ändern?
In der anschließenden Diskussion gab Mechthild Seithe eine Leseempfehlung für das Buch „Das kann ich nicht mehr verantworten!“; erschienen ist dies beim Paranus Verlag. In diesem Buch gibt es verschiedene anonyme Praxisbeispiele von Sozialarbeitern. Diese könnten beispielsweise als Diskussionsgrundlage genutzt werden, wenn man sich innerhalb einer Gruppe mit prekären Arbeitsbedingungen auseinandersetzen will. Folgende Fragen könnten bei der Analyse der Berichte gemeinsam diskutiert werden „Wie ist die Arbeit die hier beschrieben wird einzuschätzen? Unterschiedliche Möglichkeiten wie Soziale Arbeit aussehen soll erarbeiten?“
Eine weitere Leseempfehlung gab es für das „Schwarzbuch“ „Soziale Arbeit“. Das aktuelle Buch von Mechthild Seithe und Matthias Heintz „Ambulante Hilfe zur Erziehung und Sozialraumorientierung“ ist auch sehr empfehlenswert. Es ist kostenfrei als PDF verfügbar: http://shop.budrich-academic.de/produkt/ambulante-hilfe-zur-erziehung-und-sozialraumorientierung/?v=3a52f3c22ed6
Zurzeit entsteht außerdem eine interessante Wanderausstellung mit dem Titel „Der Mensch ist keine Ware“.
Zum Ende der Diskussion wurde nochmals hervor gehoben, dass Sparen als Kürzen sozialer Rechte verstanden werden kann und die Hilfe die zu kurz greift wesentlich höhere Kosten verursacht. Das Leid der Menschen würde heutzutage als gewinneinbringender Faktor angesehen werden und es würde versucht werden den Bedarf teilweise durch Ehrenamtlichkeit zu decken was zur Entprofessionalisierung beitragen würde. Die Strategie der leeren Kassen, würde als Kürzungsgrund ausgenutzt werden. Man müsse dafür kämpfen, dass die Soziale Arbeit eine Menschenrechtsprofession bleibt!